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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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nächste Schwächeanfall der letzte sein wird, und ohne jede Gewißheit, ob das Kraut tatsächlich die erhoffte Wirkung hat –, brachte ihn um den Verstand. Er hat wieder mit seinen alten Experimenten begonnen, dort, wo er im dreizehnten Jahrhundert aufgehört hat. Neue Mädchen, neue Morde.« Lysander stieß verächtlich die Luft aus, was abermals zu einem lautstarken Hustenanfall führte. Anschließend verfiel er in schnarrendes Gelächter. »Morgantus leidet am Altersschwachsinn eines Unsterblichen, ohne die Aussicht, daß ihn eines Tages der Tod erlöst. Ist das nicht eine wunderbare Ironie?«
    »Ja, wunderbar«, meinte Aura finster. Noch etwas fiel ihr ein.
    »Warum zeugt Morgantus nicht einfach ein weiteres Kind?« Mit Widerwillen fügte sie hinzu: »Oder sind ihm die Töchter ausgegangen?«
    »In der Tat.«
    »Sie meinen –«
    »– daß Morgantus zu stark gealtert ist, um eigene Kinder zu zeugen. Selbst die Versuche mit fremden Mädchen hat er mittlerweile aufgegeben. Er ist auf das GilgameschKraut angewiesen.«
    »Warum ließ er es soweit kommen? Weshalb hat er nicht vor zwanzig oder dreißig Jahren eine Tochter –«
    Abermals ließ Lysander sie nicht aussprechen. »Er hat es versucht.
    Das Mädchen brachte ein Kind zur Welt. Doch es war nicht das, was Morgantus erwartet hat.«
    »Ein Junge?«
    »Beides. Mädchen und Junge in einem Körper. Das Symbol der Alchimie. Morgantus hielt es für ein Omen. ›Die Natur gibt uns ein Zeichen‹, hat er damals gesagt. ›Sie warnt uns, daß wir am Ende des alten Weges angelangt sind. Nun gilt es, eine neue Richtung einzuschlagen.‹« Lysander verzog das Gesicht. »Um so schmerzlicher, daß der gute Nestor bereits viel früher zu derselben Erkenntnis gekommen war.«
    Aura war leichenblaß geworden.
    Sylvette trat besorgt auf sie zu. »Was ist?« fragte sie. »Was hast du?«
    Tosende Brandung – und der Wind, der um die Spitze des Leuchtturms heulte.
    »Ich bin dein Vater«, zischte Morgantus.
    Gillians erhobene Schwerthand verharrte. Tief blickte er in die verkniffenen, uralten Augen, gelbstichig wie geronnene Milch. Er dachte plötzlich an Piobb, den Puppenaugenmacher; an seinen Leichnam inmitten kalter Emailleaugen.
    Ich bin dein Vater.
    Er kannte diese Stimme. Bisher hatte er geglaubt, sie gehöre Lysander.
    Ein Stoß nur, ein Schlag – und alles wäre vorbei.
    Warum zögerte er jetzt?
    Hinter ihm krachte etwas gegen das Glas der Leuchtkuppel. Charlotte, beide Fäuste erhoben, klebte innen an der Scheibe wie eine schwarze Spinne. Jetzt rutschte sie benommen am Glas herab. Ihre Hände, ihr Gesicht hinterließen verschmierte Spuren im Vogelkot. Ihre Knie gaben nach. Neue Giftwolken stoben auf.
    Gillian ruckte wieder herum, zurück zu Morgantus. Das zerfurchte Gesicht, der verkniffene Blick.
    Dein Vater.
    Der Wind zerrte an Gillians Arm, die erhobene Schwertklinge zitterte. Morgantus beachtete sie nicht. Er erwiderte nur starr den Blick seines Sohnes.
    »Du hast deinen Vater nie gekannt«, kam es schneidend über seine Lippen. »Du hast deine Mutter nie gekannt. Du weißt nichts über deine Herkunft.«
    Gillian sah Bilder, Fetzen von Erinnerungen, die vielleicht seine eigenen waren. Die Kindheit im Waisenhaus, die Jugend auf der Straße, in zahllosen Städten. Dann, später, der Abstieg in Wiens Kanalisation. Die erste Begegnung mit Lysander. Der erste Auftrag, der erste Mord.
    »Was wirst du jetzt tun?« fragte Morgantus.
    Ein Blick zurück zu Charlotte. Ein dunkler Schemen hinter dem Glas, umgeben von weißgrauen Wirbeln. Eine Figur in einer Schneekugel.
    »Ich habe dir damals das Leben geschenkt«, wisperte Morgantus, als Gillian keine Antwort gab. »Ich hätte dich töten können wie all die anderen. Aber du warst anders als sie.« Er lehnte den Kopf noch weiter über den tobenden Abgrund, bot Gillian den dürren, faltigen Hals dar. »Der Hermaphrodit. Das Symbol der Unsterblichkeit. Die lebende Essenz des Arkanums.«
    Gillians Griff um den Kragen des Alten begann nachzulassen. Der eisige Wind schnitt durch seine Kleidung. Er fror entsetzlich.
    Noch einmal öffneten sich Morgantus’ Lippen. »Ich war es, der dir deinen Namen gab.«
    Gillian blinzelte. Hinter ihm schlug Charlotte erneut gegen das Glas. Diesmal drehte er sich nicht zu ihr um.
    »Was erwartest du von mir?« fragte er leise, nicht sicher, ob Morgantus ihn überhaupt verstand. »Daß ich dir verzeihe?«
    Morgantus lächelte milde. Sein dünnes Haar wehte um den ledrigen Schädel wie ein

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