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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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leuchtender Strahlenkranz. Er wollte etwas sagen, doch Gillian kam ihm zuvor:
    »Es wird Zeit«, flüsterte er tonlos, »und du weißt es.«
    Er senkte das Schwert in einem harten, kurzen Schlag. Ein sauberer Schnitt. Scharf und glatt und endgültig.
    Der Schädel des Alchimisten verschwand in der Tiefe. Im Fallen bewegten sich seine Lippen. Eine Täuschung, vielleicht. Dann: die Gischt, die Brandung. Die offene See. »Das ist noch nicht alles, oder?« Auras Tonfall klang flatternd, viel zu hoch und spitz. Nicht einmal ihre Stimme hatte sie unter Kontrolle, geschweige denn ihre Gedanken. »Nur darum ging es die ganze Zeit. Um Familien und um Kinder. Um das kleine Stück Unsterblichkeit, das jeder von uns an seine Nachkommen weitergibt.«
    »Die Unsterblichkeit, die die Natur einem jeden gewährt«, sagte Lysander und nickte. »Das war es, was ich lange vor Morgantus und vielleicht auch vor Nestor begriffen habe. Jeder lebt in seinen Kindern weiter, sie sind der Nährboden aller Unsterblichkeit. Vielleicht war es das, was Morgantus in ihrem Blut entdeckte, vielleicht ist das die wahre Essenz des Elixiers. Ich weiß es nicht.«
    »Sie haben gesagt, mein Vater hätte die Kette ebenfalls durchbrochen …«
    »Deshalb begann er zu altern. Er hat die letzte Generation ausgelassen, genau wie ich. Er hat Charlotte geheiratet und mit ihr Kinder gezeugt. Er muß sehr sicher gewesen sein, das Gilgamesch-Kraut zu finden.«
    »Nein!« widersprach Aura scharf. Allmählich ergaben die Details ein umfassendes Bild. »Sie irren sich. Nestor war nicht wie Sie, Lysander. Er hat sich abgesichert. Das war der Grund, weshalb er Daniels Unfall inszenierte und mich in das Internat schickte – er wollte die Kette wieder aufnehmen. Er mußte mitansehen, wie er alterte, und das machte ihm Angst. In Wahrheit hat er nie auf das Elixier verzichten wollen. Ich wäre sein nächstes Opfer geworden. Er hätte eine Tochter mit mir gezeugt, und er hätte mein Blut –« Sie verstummte, unfähig, den Satz zu Ende zu bringen.
    Lysander sah sie an und blickte gleichzeitig durch sie hindurch.
    »Dann ist Charlotte –«
    »Ja!« rief sie aus, und plötzlich war alles klar, alles verständlich.
    »Meine Mutter ist Nestors Tochter. Sie hat ihre Eltern nie gekannt, es hieß sie seien bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen. Alles Lüge! Nestor hat diese Geschichte verbreitet, so, wie er es wahrscheinlich seit Generationen tat. Er verschwand aus dem Leben der kleinen Charlotte und tauchte erst wieder auf, als sie alt genug war, ihn zur Frau zu nehmen. So wahrte er den Schein, ohne die Kette zu durchbrechen.«
    »Trotzdem hat er eine Generation übersprungen – sonst wäre Charlotte jetzt tot und Nestor nicht gealtert.«
    Aura nickte benommen. »Ich wäre die nächste gewesen. Vermutlich hat er sich selbst ein Ultimatum gesetzt. Während meiner drei Jahre im Internat wollte er die Suche nach dem Gilgamesch-Kraut noch fortsetzen. Wäre es ihm in dieser Zeit nicht gelungen, das Kraut zu finden, hätte er die Kette wieder aufgenommen – mit mir. Ich war die Alternative.«
    »Seine Absicherung.« Lysanders Stimme klang gepreßt, von ehrlicher Traurigkeit durchsetzt.
    Aura fand allmählich zurück zu ihrer alten Entschlossenheit. »Wir sollten endlich zusehen, daß wir hier rauskommen. Wo führen eigentlich die drei übrigen Gänge hin?«
    »Das sind Sackgassen. Sie sind alle zugemauert. Im Mittelalter wurden hier Ungläubige eingesperrt – man glaubte, im Inneren des Kreuzes sei die Aussicht größer, daß Gott sie bekehrt. Das war, bevor der Orden sich völlig vom Christentum lossagte.«
    Aura überlegte einen Augenblick lang, dann legte sie sich am Rand der Bodenöffnung auf den Bauch. Vorsichtig schob sie ihren Kopf über die Kante. Aus der Tiefe des Abgrunds blies ihr ein schaler, übelriechender Luftzug ins Gesicht.
    »Das haben schon andere versucht.« Lysander schüttelte resigniert den Kopf. »Sie liegen alle irgendwo dort unten.«
    Aura schenkte ihm einen giftigen Blick; sie hätte ihm gerne die Schuld an ihrem Dilemma gegeben. Er hatte Dutzende junger Mädchen getötet, um sein eigenes elendes Leben zu verlängern. Und dennoch war alles, was sie an Empfindung für ihn aufbringen konnte, abgrundtiefe Verachtung. Ekel, natürlich, aber kein Haß. Er hatte recht gehabt mit dem, was er zu Anfang gesagt hatte: Es machte einen Unterschied, daß sie keines seiner Opfer gekannt hatte. Und er war trotz allem der Vater ihrer Schwester; Sylvette liebte

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