Die alte Villa (German Edition)
angsterfüllten Schreie, die nun doch aus der trockenen Kehle der zum Tode Verurteilten gellten, gingen in dem Gejohle der Menschen unter, die sich heute so zahlreich auf dem großen weitläufigen Marktplatz der Stadt versammelt hatten.
„Ha, jetzt nutzt dir deine Hexerei nichts mehr!“ - „Verbrennt die Hexenbrut!“
Das Geschrei der aufgebrachten Menschenmenge erfüllte die warme Luft des So mmerabends. Einige lachten, andere schleuderten wütendes Geschrei in Richtung der lodernden Flammen.
Im Todeskampf und mit weit aufgerissenen Augen warf das Mädchen seinen Kopf mit den langen roten Haaren hin und her. Doch die Fesseln gaben keinen Millimeter nach.
Ihre zarte, in ein pastellfarbenes Gewand gehüllte Gestalt leuchtete weithin sichtbar im hellen Schein des heftig lodernden Feuerballs.
Nach endlosen Minuten unvorstellbarer Qual versiegten ihre Schreie. Ihr Kopf hing leblos herunter.
Doch gierten die meterhohen Flammen noch nach dem toten Körper des Kindes und zehrten schließlich auch den letzten Rest der gerade erst verloschenen Lebenskraft auf.
S o plötzlich und übereilt wie das Feuer sich entfacht hatte, mit dem Verlöschen der Lebensenergie der Hingerichteten und nachdem sie ihre grausame Bestimmung erfüllt hatten, versiegten die Flammen.
Dichter Qualm stieg aus dem rußig schwarzen Bücherhaufen empor.
Nur bei sehr genauem Hinsehen erkannte man seltsam geformte Zeichen, die sich im undurchdringlichen Nebel des Rauches abzeichneten. Ganz blass mischten sie sich in die emporsteigenden Rauchschwaden, stiegen unaufhörlich aus der Asche der verbrannten Bücher empor, ließen den Qualm noch dunkler und mächtiger werden, bis sich dieser über den ganzen Marktplatz auszubreiten schien.
Eine dunkle qualmende Masse legte sich wie eine alles erdrückende Plane schwarz und schwer auf den Platz nieder, auf die dort versammelten Menschen, die – mit zu hässlichen Fratzen verzogenen Gesichtern - kurz zuvor noch im hellen Feuerschein so hämisch gegrölt hatten.
Alles wurde glanzlos und staubig.
Die Rauchschwaden bildeten in geschmeidiger Wallung den Rachen eines Raubtiers, zuerst noch klein und ungefährlich, dann größer anwachsend, schließlich erkannte man das Maul eines gigantischen Drachen. Groß genug, um die gesamte sensationsgierige und schreiende Schar zu verschlingen.
Nachdem der rauchige Schlund sich die wütende Meute einverleibt hatte, wurde er nochmals größer und immer gewaltiger, bis er schließlich seine Form wieder verlor, zu einem gleichmäßigen dichten Nebel herab sank und sich mit der Dunkelheit der Nacht zu einer leblosen schwarzen Stille vereinigte.
Vergangenheit und Zukunft aller hier Versammelten schienen sich in dieser vollkommenen Stille in Nichts aufzulösen. Raum und Zeit hinter sich lassend, wurden alle und alles in die düstere Unendlichkeit des bleiern schwarzen Nebels hinein gesogen.
2.Mai 1979
Als Rebecca mitten in der Nacht erwachte, hatte sie zunächst geglaubt, selbst dort oben auf dem Scheiterhaufen verbrennen zu müssen. Sie schien den heißen Qualm, der ihr die Luft zum Atmen genommen hatte, immer noch zu riechen und erschauderte beim Gedanken daran, wie sich alles im dunklen Nebel aufgelöst hatte, der Platz, die Menschen, der Scheiterhaufen, die ganze Welt…
Ihr Herz raste wie wild, an Schlaf war nicht mehr zu denken.
Daher schlüpfte sie kurz entschlossen unter ihrer Bettdecke hervor, zog ihren geblümten Bademantel über und setzte sich an ihren Schreibtisch. Sie schaltete die Schreibtischlampe an und nahm ein Buch aus einer der Schubladen heraus. Ihr Tagebuch.
‚2. Mai 1979...’ begann sie.
Ihre langen roten Locken, die sie nur locker mit einem Band auf dem Rücken zusammengebunden hatte, fielen schwer über ihren Rücken, fast bis zu ihrer Taille hinunter. So eine dichte Haarpracht konnte sehr von Nutzen sein, vor allem, wenn man sich während des Unterrichts dahinter verstecken konnte.
Und leider hatte sie häufig das Verlangen, sich in der Schule vor den anderen verstecken zu wollen. Sie war davon überzeugt, dass kaum einer sie mochte, dass sie jemand war, den die anderen mieden, wie Luft behandelten oder über den hinter vorgehaltener Hand und hinter seinem Rücken getuschelt wurde.
Das schmerzte und verunsicherte sie.
Dabei behauptete ihre beste Freundin Hannelore das glatte Gegenteil.
„Mensch, Rebecca, bild’ dir bloß nichts ein - Die meisten mögen dich doch. Aber klar, wenn du dich immer so
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