Die alte Villa (German Edition)
Weitaus interessanter als der alte Brauch der Walpurgisnacht waren jedoch die Hexen selber. Sie wollte vor allem wissen, was eine Hexe überhaupt war – oder ist?
Der Autor des Buches trug verschiedene Thesen zur Entstehung des Hexenkults zusammen. Die erste Möglichkeit bestand darin, dass der gesamte Hexenkult auf eine heidnische Göttin namens Walpurga zurückging, die im Rahmen der Christianisierung im 8. Jahrhundert von einem Bischof Willibrord beseitigt wurde.
Andere Quellen verwiesen gar auf die germanischen Seherinnen das 2. Jahrhunderts. Dort soll es eine Seherin namens ‚Waluburg’ gegeben haben, wobei sich ‚Walu’ von ‚walus’ = ‚Stab’ ableitet und den Zauberstab der Seherinnen als Zeichen ihrer Zunft meinte.
Noch viel älter war die Zuordnung des altgermanischen Begriffs ‚hagazussa’ zu einem mythischen Wesen der Zwischenwelt, was ‚Zaunreiterin’ bedeutet.
Mit ‚Hag’ wurde demnach eine Art lebender Zaun, der Felder und Wiesen voneinander trennt, bezeichnet. Und auf diesem dornigen Gestrüpp sitzt die Hexe, die ‚hagazussa’.
‚Hagazussa’ hieß also wortwörtlich übersetzt ‚die im Hag sitzende’.
Dieser ‚Hag’ oder Zaun, auf dem die Hexe nach den alten Überlieferungen saß, stellte die Grenze dar zwischen den zwei Welten, den zwei verschiedenen Wirklichkeiten.
Demnach war eine Hexe also eine Art Schamanin, die zwischen den Welten hin und her wandern konnte.
Irgendwie eine schöne Vorstellung…
Was sie beim Lesen des Buches allerdings schockiert hatte, war die Tatsache, dass schon seit dem 16. Jahrhundert viele Frauen, aber auch Männer, und sogar Kinder, verbrannt wurden, weil sie unter der Folter eingestehen mussten, ihr Unwesen als Hexe, bzw. als Hexer oder Zauberer getrieben zu haben.
Durch die Erinnerungen an das vor kurzem gelesene Buch, drängte sich ihr nun als logische Konsequenz die recht einleuchtende Begründung auf, die auf einen Schlag alle Ereignisse erklären würde:
Der Lehrer, die Walpurgisnacht, das Buch über Hexen, meine roten Haare. .. alles nur Zufälle?! Es gibt wahrlich keinen Grund, Gespenster zu sehen.
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3 .Mai 1979, Universität zu Bonn
„Sie wollten mich noch sprechen, Professor Grodinski?“
Die Professorin schaute ihr jugendliches Gegenüber freundlich an.
„Ja, Herr Klimm, schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben… Sie haben doch ein paar Minuten Zeit für mich?“
„Oh, ja … natürlich.“ Der junge Mann sah verlegen zu Boden. Dann richtete er seinen Blick langsam auf die schöne Frau, die gerade vor ihm stand und sprach mit leiser Stimme:
„Wissen Sie, vorhin in der Vorlesung, das war nicht persönlich gegen Sie gemeint. ..“
Die Professorin fixierte ihn mit einem Blick, bei dem man sich auf einmal kaum noch auf etwas anderes konzentrieren konnte als auf diese unglaublichen graublauen Augen einer bemerkenswert attraktiven Frau. Und wie es der Zufall so wollte, kam just in diesem Moment die Sonne hinter Wolken hervor, erhellte den schönen alten Hörsaal der schon recht betagten Universität und ließ die Person seiner Professorin in einem so hellen Licht erstrahlen, dass er sogleich die Augen zusammen kneifen musste, da ihn die plötzliche Helligkeit so stark blendete.
Die dunkle Samtweste, die Professor Grodinski über einer weißen Rüschenbluse trug, nahm nun eine bordeauxrote Färbung an und schimmerte wie ein schwerer Rotwein, den man soeben in ein großes bauchiges Glas eingeschenkt hatte und der im Dämmerlicht nur vom Schein einer Kerze beleuchtet wurde.
Selten hatte er ausdrucksstärkere Augen gesehen als die seiner noch recht jungen Professorin, mit der er sich vor wenigen Augenblicken noch in einer hitzigen Diskussion angelegt hatte.
Er lehnte einfach alles, was aus ihrem Munde kam, kategorisch ab. Wie sollte man Wissenschaft mit Liebe erklären? Einfach lächerlich! Dafür gab es in seinem Gehirn anscheinend keine Areale, wo derartige Informationen hätten abgespeichert werden können.
In jeder ihrer Vorlesungen hatte er einfach nur das Gefühl, sich auf einem Selbstfindungsseminar für unzufriedene reifere Damen zu befinden und nicht bei einem wissenschaftlichen Vortrag im Fach Physik.
„Das ist kein Problem, Herr Klimm. Mir ist schon klar, dass mein Gedankengut nic ht unbedingt das ist, was man in einer Vorlesung im Fach Physik erwarten würde. Dennoch… ich habe meine Gründe, ja sogar Beweise für meine Theorie.
Die größte Schwierigkeit besteht anscheinend
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