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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hedwig Appelt
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langem Zögern entschloss sich Herakles, das Orakel von Delphi nach einer Möglichkeit der Entsühnung zu befragen. Er wandte sich an die Phythia, die seine Tat so grauenvoll fand, dass sie sich weigerte, ihn überhaupt anzuhören. Darüber geriet Herakles so in Zorn, dass er die unantastbare Phythia packte, um ihr die Worte zu entringen, und nur durch Zeus’ Eingreifen vor einem weiteren schlimmen Vergehen bewahrt wurde. Wie der Blitz war Zeus zwischen seinen Sohn und die Priesterin des Apollon gefahren, die sich nun der höheren Macht fügte und ihr Orakel preisgab: Herakles sollte sich freiwillig in den Dienst von Eurystheus begeben – jenem König in Tiryns, auf dessen Thron eigentlich Herakles Anspruch hatte, was auch Eurystheus wusste, der dem Rivalen deshalb zeitlebens so ängstlich wie feindlich gegenüber stand. Zwölf Arbeiten sollte Herakles für den König ausführen, ganz gleich, was dieser von ihm fordern würde. Für den Fall, dass alle Aufgaben erfüllt würden, stellte die Pythia ihm Entsühnung und Unsterblichkeit in Aussicht.
    Für Herakles war das Orakel vernichtend. Neben seiner Schuld musste er jetzt noch die Demütigung ertragen, neben seiner Trauer Eurystheus’ Hohn. Aber das Schlimmste war, dass er sein Leben nicht einmal hingeben durfte, sondern auf die eigene Lebensrettung bedacht sein musste, bis er die zwölf Arbeiten erfüllt hatte. Nur dann würde ihm ja die Schuld vergeben werden. Eurystheus triumphierte, als er den Orakelspruch erfuhr, und dachte sich mit Heras Hilfe immer wieder neue Aufgaben aus, von denen jede einzelne weit über das Menschenmögliche hinausging. |49| Die beiden wollten Herakles nicht bei den Göttern, sondern im Hades sehen, wo er als Schatten seiner selbst immer noch die Erinnerung an seine Schuld tragen würde.
    Theseus schloss die Augen und verstummte. Jetzt musste er sagen, warum sie gekommen waren und dass Eurystheus Hippolytes Gürtel für seine eigene Tochter beanspruchte.
    Eine Amazone legt niemals ihren Gürtel ab, so viel wusste Theseus. Das Symbol ihrer Herrschaft, geschenkt vom Gott des Krieges, hatte sie aus der Hand ihres Vaters entgegengenommen. Theseus ließ seinen Blick über den Gürtel wandern, der die Macht und ihre Insignien in unvergleichlicher Schönheit repräsentierte. Kunstvoll und präzise gearbeitete Goldornamente verzierten ein Lederband, das weich aussah, so wie es um Hippolytes Taille lag. Ein Teil der Goldverzierung war von den Falten ihres Kleides verdeckt, das kaum bis zu den Knien reichte. Theseus suchte nach dem Verschluss und sah, wie sich der Gürtel öffnen ließ. Er spürte, dass Hippolyte seinem Blick gefolgt war und bereits wusste, was Eurystheus haben wollte. Ihre Augen trafen sich, und es war schon alles gesagt, als Theseus es aussprach: Eurystheus verlangt nach dem Gürtel der Amazonenkönigin.
    Hippolyte nickte. Sie dachte nicht daran, ihre Herrschaft in die Hände eines griechischen Königs zu legen. Sie dachte an Theseus’ Hände, die sie spüren wollte, wenn er ihr den Gürtel löste, und die bei ihr bleiben würden, wenn er ihn geöffnet hatte. Noch immer standen sie sich gegenüber. Hippolytes Augen fragten, warum ihr Gefühl so durcheinander geraten war. Und Theseus antwortete ihr, indem er sie ansah, als er auf sie zuging, ihre Hand nahm und auf sein Schiff führte.
    Hera, die vom Olymp aus alles mit angesehen hatte, raste vor Wut. Die Amazonen waren ihr Trumpf gewesen, verlässlicher im Töten als vielköpfige oder unverwundbare Ungeheuer. Eine Begegnung zwischen dem aufbrausenden Herakles und den nicht weniger zornigen Arestöchtern hätte für Herakles und seine kleine Equipe das Ende bedeuten müssen. Stattdessen hatten Theseus’ |50| offene Worte und die unausgesprochene Frage: wer bist du und wie wirst du uns begegnen? die Amazone verwandelt. Niemals zuvor hatte ihr jemand diese Frage gestellt. Noch nie konnte sie wählen, Amazone oder Frau zu sein. Vielleicht war diese Möglichkeit der Wahl so verführerisch, vielleicht war es Theseus’ eigenes Begehren, das von der Frage schon mitgetragen wurde, die zu der Antwort drängte: Ich werde dir als Frau begegnen.
    Als Theseus und Hippolyte allein auf dem Schiff waren, kannte Hera kein Halten mehr. Sie eilte vom Olymp herab, mischte sich als eine von ihnen unter die Amazonen und begann ein fürchterliches Geschrei, Hippolyte sei in der Gewalt der Griechen und solle entführt werden. Sofort griffen die Amazonen an und lieferten sich mit den Griechen einen

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