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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hedwig Appelt
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Um welche Trophäe auch immer sie gekommen sein mochten: Herakles wollte sie sich nehmen, da war Hippolyte sicher, Theseus sie sich geben lassen. Hippolyte sah auch das Verächtliche in Herakles’ Blick, dass doch „nur“ ein Heer aus Frauen ihnen gegenüberstand, und leise Zweifel stiegen in ihr auf. Wenn Theseus und Herakles so eng befreundet waren, teilten sie dann nicht auch die Gesinnung? Sie kamen aus dem gleichen Land mit der gleichen Kultur – warum erzählte dann Theseus, als ginge es um sein Leben, während der andere offensichtlich den Kampf herbeisehnte? Wollte Theseus sie mit seiner Rede nur ablenken, während seine Freunde die Falle stellten?
    Doch alle Griechen schienen bei den Schiffen zu warten, die Amazonen standen immer noch über Strand und Ebene verteilt. Auf dem Meer zeigte sich kein weiteres Schiff, aber die Bucht von Themiskyra war nicht besonders groß. Hippolyte sah eine kleine Gruppe von Amazonen an, die den Wink sofort verstanden und sich unauffällig in Bewegung setzten. In einiger Entfernung trennten sie sich: Ein Teil ritt die Küste entlang, während der andere in Richtung der „Amazonischen Berge“ galoppierte. Theseus sah, wie die verbleibenden Amazonen ihre Pferde so in Stellung brachten, dass die Raumdeckung lückenlos war. Er hatte Hippolyte nicht aus den Augen gelassen, ihren schmalen Blick auf Herakles gesehen und den kurzen Augenkontakt mit ihren Kriegerinnen bemerkt. Gerne hätte er sie beruhigt und ihr versichert, dass die Griechen keinen Angriff und schon gar keinen Hinterhalt planten, aber damit wäre beim Namen genannt, was ein Gespräch verhindern sollte: den Kampf, der beiden Seiten tiefe Wunden schlagen würde. Theseus schwieg. Während Hippolyte ihre wortlosen Befehle gegeben hatte, sah er sie unverwandt an und wartete, bis ihr Blick zu ihm zurückkehrte. Freundlich erwiderte er ihn und erzählte weiter:

    |47| Jeder Versuch des Freundes, das Leben nach seinen eigenen Wünschen zu gestalten, wurde von Hera zunichte gemacht. Bis endlich ihr Rachedurst gestillt schien und Herakles bei Kreon, dem König von Theben, um dessen Tochter Megara werben durfte. Kreon erfüllte ihm die Bitte gern, und Herakles verlebte glückliche Jahre mit seiner Frau, die drei Söhne zur Welt brachte. Alle drei waren noch sehr klein, als während Herakles’ Abwesenheit der König gestürzt und ermordet wurde. Schutzlos blieben Megara und ihre Kinder zurück, denen man bereits zynisch Tag und Stunde ihres Todes genannt hatte. Im letzten Moment kehrte Herakles zurück und setzte der Tyrannei ein Ende. Das hatte sich Hera anders gedacht. Herakles sollte seine Familie nur haben, damit Hera sie ihm wieder nehmen konnte. Er sollte das Glück kurz spüren, damit ihn das folgende Unglück umso heftiger treffe. Er sollte die Liebe kennen lernen, damit Hera ihm das Liebste wieder nehmen konnte. Und jetzt sah sie Megara lebend in den Armen ihres Retters. Da rief Hera Lyssa herbei. Es war nicht das erste Mal, dass die Göttin des Wahnsinns zu Herakles geschickt wurde, doch als Lyssa diesmal ihren Auftrag vernahm, weigerte sie sich schlichtweg. Was Hera von ihr verlangte, ging selbst der Göttin des Wahnsinns zu weit, und Heras Botin Iris musste die widerstrebende Lyssa mit festem Griff nach Theben führen, wo Herakles mit seiner Familie am Altar des Zeus den Dank für die Rettung vorbereitete. Von Hera gezwungen und von Iris überwacht hatte Lyssa keine Wahl. Widerstrebend zog sie ihre umnebelnden Kreise enger und enger um Herakles, bis er nichts mehr erkannte als das Phantasma seiner Feinde. Im Glauben, diese zu töten, brachte er seine Familie um, und Hera war grausam genug, ihn inmitten der Leichen wieder erwachen zu lassen.
    Theseus sah zu seinem Freund hinüber und senkte die Stimme: Herakles sei kurz davor gewesen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Nur mit Mühe war er zu überreden, mit nach Athen zu kommen und um Entsühnung zu bitten. Theseus hob hilflos die Hände. Zum Schluss hatte er stockend gesprochen, jetzt schwieg |48| er. Zum ersten Mal sah Hippolyte so etwas wie Furcht in seinen Augen, die Befürchtung, sie könnte sich weigern, ihn zu Ende anzuhören und Herakles, dem Mörder seiner Familie, jede Hilfe verweigern. Ein Mitgefühl stieg in Hippolyte auf, nicht mit Herakles, sondern mit Theseus, der so wortlos bittend vor ihr stand, und sie kam seiner unausgesprochenen Bitte nach, indem sie ihn aufforderte weiterzusprechen. Theseus dankte ihr mit einem Blick und fuhr fort:
    Nach

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