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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hedwig Appelt
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Eurystheus war sich sicher, dass die Begegnung mit den Amazonen todbringend verlaufen würde. So sicher, dass er seinem Diener Herakles großzügig erlaubte, eine Flotte aus neun Kriegsschiffen zusammenzustellen und eine Mannschaft seiner Wahl anzuheuern.
    Unter den Männern, die Herakles begleiteten, war auch sein bester Freund Theseus. Der kriegserfahrene, eloquente, diplomatische und äußerst attraktive junge König von Athen hatte sich dem Himmelfahrtskommando freiwillig angeschlossen, weil er um die Schwächen seines Freundes Herakles ebenso gut wusste wie um dessen Stärken. Denn bei aller Loyalität, Furchtlosigkeit und übermenschlicher Körperkraft war Herakles’ Handlungsspielraum von Natur aus begrenzt. Für ihn gab es entweder |42| Freundschaft bzw. Gehorsam gegenüber Höhergestellten oder den Konflikt, auf den er mit dem Einsatz seiner Keule reagierte. Herakles war nicht der Mann, der verhandelte, und bei Frauen kam seine grobschlächtige Art überhaupt nicht an. Sie spürten seine Verachtung, und er machte kein Hehl daraus, dass er Frauen nur als Quell von Ärgernissen, Aufschüben und Komplikationen kennen gelernt hatte. Immer war Herakles derjenige, der seine verliebten Gefährten zur Ordnung rufen und an die Pflicht erinnern musste. Er mochte Frauen nicht und hatte nichts dagegen, sie – wie im Fall der Amazonen – zu beseitigen.
    Theseus ahnte, dass die Begegnung zwischen seinem Freund und den Amazonen in einer Katastrophe enden würde, und war fest entschlossen, sein ganzes Verhandlungsgeschick einzusetzen, um dies zu verhindern. Er wollte das Gespräch mit der Amazonenkönigin suchen und jeden Kampf vermeiden. In der Hoffnung, seinem Freund und Gefährten auf diese Weise das Leben zu retten, schiffte er sich mit ihm ein.
    Herakles, der zusammen mit den Argonauten nach Kolchis gesegelt war, um das Goldene Vlies zu holen, kannte die Route. An einem klaren, sonnigen Tag setzte die aus neun Schiffen bestehende Kriegsflotte die Segel und stach in See. Wie damals die Argonauten fuhren Herakles und seine Gefährten zunächst an der Ostküste Griechenlands entlang, kreuzten an den Inseln Lemnos und Imbros vorbei und hielten Kurs auf den Hellespont. Herakles wusste, wo die tückischen Strömungen und gefährlichen Engpässe waren. Er führte seine Flotte mit Umsicht durch die Meerenge, schiffte unbehelligt durch das Marmarameer und fuhr durch den Bosporus ein ins Schwarze Meer. Wie es damals üblich war, segelten und ruderten die Mannschaften nahe der Küstenlinie entlang und näherten sich allmählich der Mündung des Thermodon.
    Als sie in die kleine Bucht einbogen, wurden sie bereits erwartet. Wie Statuen standen die Pferde der Amazonen über den Strand und die Ebene verteilt. Ruhig und abwartend verhielten sich auch die Reiterinnen. Aber weithin sichtbar blinkten ihre |43| Waffen und Schilde in der Sonne. Am Strand stand die Königin Hippolyte mit ihrem Gefolge und sah den griechischen Schiffen entgegen, die langsam auf sie zuruderten. Es war die erste Begegnung zwischen zwei Welten: zwischen Barbarinnen und Zivilisierten, Reiterinnen und Seefahrern, Nomadinnen und Sesshaften, zwischen einer Männer- und einer Frauenwelt. Es war unvorhersehbar, was geschehen würde.

Zwei Welten begegnen sich
    Gespannt verfolgten die Griechen um Theseus und Herakles jede Bewegung der Amazonen, während sie dem Ufer immer näher kamen, forschten nach ersten Anzeichen für ein Signal zum Angriff, aber es geschah nichts. Ruhig und gelassen stand Hippolyte da. Sie wusste, dass sie die Herrin der Situation war. Ein Zeichen von ihr würde genügen, um ihre Amazonen heranstürmen zu lassen. Aber Hippolyte sah auch, dass die Fremden keine Waffen trugen, und handelte souverän und abwartend. Sie ging Theseus entgegen, der als Erster das Schiff verließ. Und dann standen sie sich gegenüber, die beiden Welten, und schauten sich an. Theseus und Hippolyte, der König von Athen und die Königin der Amazonen.
    Hippolyte spürte die unausgesprochene Frage, das ängstliche Warten auf ein erstes – freundliches oder feindliches – Zeichen und hieß, mit ihrem Heer im Rücken, Theseus lächelnd in Themiskyra willkommen. Dankbar und erleichtert erwiderte er ihren Gruß, überreichte das Gastgeschenk und bat sie, ihr den Grund seines Kommens erklären zu dürfen.
    Hippolyte war neugierig, außerdem gefiel ihr die freundliche, respektvolle Art, in der Theseus ihr frei von jeder Unterwürfigkeit begegnete. Und so bat sie ihn zu

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