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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hedwig Appelt
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der Stadt, indem sie Grabmäler für die Amazonen an den Stadttoren errichteten. Außerdem nannten sie den Bezirk um den Arestempel am Nordhang des Areopag „Amazoneion“ und hielten damit die Erinnerung an die legendären Steppenkriegerinnen über Generationen hinweg aufrecht. Künstler und Handwerker |66| thematisierten den Krieg zwischen Amazonen und Griechen, es entstanden Vasen- und Amphorenbilder, Friese und Statuen, die den Kampfgeist und vor allem die Schönheit der Amazonen unvergessen machten. Die Episode mit dem sagenhaften Barbarenvolk trug bei zum Ruhm der eigenen Geschichte, die ein individuelles Nachspiel haben sollte:
    Theseus heiratete bald nach Hippolytes Tod die kretische Königstochter Phädra und lebte mit ihr und den gemeinsamen Kindern in Athen, während sein Sohn Hippolytos bei seinen Verwandten in Troizen aufwuchs.
    Phädra begegnete ihrem Stiefsohn erst, als er schon erwachsen war. Seine Schönheit verdankte er wohl beiden Elternteilen, in seinem Wesen allerdings dominierte der mütterliche Einfluss: die Natur, die Jagd, die Verehrung von Artemis, die Scheu vor den Menschen und eine männliche Version von „Jungfräulichkeit“ bestimmten sein Leben in einer Ausschließlichkeit, die von allen Göttern besonders Aphrodite gegen ihn aufbrachte. Die Göttin der Liebe fühlte sich durch Hippolytos’ solitäres Leben und seine Verachtung der sinnlichen Liebe persönlich angegriffen. Seine Verwandten und Diener sahen die Gefahr, die von einer vernachlässigten Göttin ausgehen konnte, und warnten Hippolytos immer wieder eindringlich davor, Aphrodite im Kultus zu vernachlässigen. Aber er schlug alle Ratschläge in den Wind, betete und opferte weiterhin für Artemis allein, sodass Aphrodite ihren längst geschmiedeten Racheplan umzusetzen begann. Dazu brauchte sie Phädra, in der sie ein heftiges Verlangen nach Hippolytos wachsen ließ. Sie richtete es so ein, dass Theseus’ Frau sich ihren Stiefsohn als Liebhaber wünschte und sich diesen Wunsch natürlich sofort versagte. Getrieben von einem Verlangen, das in seiner Körperlichkeit nicht zu unterdrücken war, und gequält von der Unmöglichkeit, dieses Bedürfnis zu befriedigen, wurde Phädra krank. Ihr Körper verzehrte sich in rasendem Stillstand, niemand konnte ihr helfen. Nur ihre Amme weigerte sich, den Verfall fraglos hinzunehmen. Sie hörte nicht auf zu bitten, zu drängen, zu |67| schmeicheln und Auswege anzubieten, bis Phädra wider besseres Wissen Hoffnung in sie setzte und sich ihr anvertraute. Aber die Liebe der Amme zu ihrer Herrin war ebenso unglücklich, denn sie vertraute Hippolytos das Geheimnis an und wurde barsch zurückgewiesen. Damit war Phädras Schicksal besiegelt. Scham und Angst, verraten zu werden, ließen ihr als Ausweg nur noch den Tod. Sie schrieb Theseus einen Brief, faltete ihn klein zusammen und hielt ihn fest in der Hand, als sie sich den Strick um den Hals legte und den Stuhl wegstieß.
    Mit der Nachricht von ihrem Tod erhielt Theseus auch die Begründung: Hippolytos, so stand in dem Brief, habe sie bedrängt und zum Ehebruch gezwungen. Scham und Erniedrigung ob dieser obszönen Tat habe ihr keinen anderen Ausweg gelassen.
    Theseus wurde zum Vollstrecker von Aphrodites Racheplan. Schmerz, Wut und Trauer verschmolzen zu einer unbedachten Kettenreaktion. Er warf Hippolytos aus dem Haus, der schweigen musste, weil er es der Amme geschworen hatte, verwies ihn des Landes und rief seinen Vater Poseidon an, er möge ihm jetzt einen der versprochenen drei Wünsche erfüllen. Er, Theseus, fordere den Tod seines Sohnes noch am gleichen Tag. Poseidon krümmte sich, als dieser Wunsch zu ihm drang, er wusste, dass Hippolytos unschuldig war, der jetzt auf einem leichten, von zwei Pferden gezogenen Wagen herankam. Entgegen seinem Willen entließ der Gott eines seiner Ungeheuer aus den Untiefen, in denen sie hausten. Die Wellen türmten sich hoch und warfen ein stierähnliches Wesen dem Gespann entgegen. Sofort gerieten die Pferde in Panik, Hippolytos konnte die Zügel noch straffen, aber die Tiere gehorchten nicht mehr. In wilder Furcht drehten sie um und flohen vor dem Stier, der ihnen den Weg abschnitt und sie in Richtung der Felsen trieb. Gefährlich nah kamen die Räder den Felsen, berührten den nächsten Vorsprung, brachen, Wagen und Pferde stürzten und Hippolytos wurde zu Tode geschleift.
    Man brachte den Sterbenden zu Theseus’ Haus zurück, der inzwischen von Artemis über seinen Irrtum aufgeklärt worden |68|

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