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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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anstarren? Habe ich über Nacht eine Warze auf der Nase bekommen?«, fragte Wanda, als sie ein Stück gegangen waren. »Oder liegt es an meinem Kleid?« Nach langem Überlegen hatte sie für ihren ersten Ausflug die Tracht der Donauschwaben gewählt.
    »Ein bisschen seltsam ist dein Aufzug schon.« Johannes grinste. »Ehrlich gesagt – ein Lauschaer Mädchen würde so etwas nicht anziehen, auch wenn es in New York Mode ist. Aber deshalb gucken die Leute nicht.«
    »Sehr nett von dir!« Skeptisch schaute Wanda auf ihren grünen plissierten Glockenrock. Der Verkäufer in dem kleinen Laden in der Lower East Side hatte gesagt, die Tracht würde »bodenständigen, ländlichen Schick« ausstrahlen. »Was ist es dann? Nach allem, was ihr erzählt, müssen die doch an Fremde gewöhnt sein, oder?« Noch während sie sprach, fing sie von der anderen Straßenseite weitere neugierige Blicke auf, diesmal von zwei Frauen, die Einkäufe in Körben nach Hause trugen.
    Johannes grinste. »An Fremde schon, aber an die Tochter vom Thomas Heimer nicht!«
    »Was?!« Abrupt blieb Wanda stehen. In ihrem Kopf begann es zu summen. »Du meinst …, die wissen, dass ich … wer ich …«
    Johannes schien ihre Verwirrung zu genießen. »Die Lauschaer haben ein langes Gedächtnis, da weiß jeder noch ganz genau, was vor achtzehn Jahren vorgefallen ist. Und als damals deine Mutter so einfach auf und davon ist … Es kommt höchst selten vor, dass jemand Lauscha verlässt, wir sind ein bodenständiges Völkchen. Und dann eine verheiratete Frau mit Kind …« Er gab Wanda einen leichten Schubs. »Jetzt guck nicht so entgeistert. Sie sind nur neugierig, wiedu aussiehst und so …« Er hob entschuldigend die Schultern.
    »Ich … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll!« Dass hier alle über sie Bescheid wussten, war Wanda nie in den Sinn gekommen.
    »Dein … Vater ist im Dorf sehr beliebt. Und so häufig kommt es nun auch wieder nicht vor, dass Leute geschieden werden. Und dass deren erwachsene Kinder ausgerechnet dann auftauchen, wenn der Großvater im Sterben liegt und es etwas zu erben gibt … Da wird halt gelotscht, also, ich meine geredet. Dass sich die Leute Gedanken machen, ist doch normal. Ehrlich gesagt, haben Anna und ich auch zuerst … Aber dann hat Mutter uns erzählt, dass du bis vor kurzem gar nichts von deinem leiblichen Vater wusstest. Eine verrückte Geschichte!« Er pfiff leise.
    Nun verschlug es Wanda erst recht die Sprache.

    Als sie wenige Minuten später die Zeichenschule betraten, war Wanda immer noch benommen. Die Leute hielten sie für eine Erbschleicherin?! Das konnte man doch nicht auf sich beruhen lassen, das musste man doch richtigstellen!
    Stirnrunzelnd lauschte sie Johannes’ Erklärungen zu den einzelnen Vitrinen, die in einem ehemaligen Zimmer der Zeichenschule ausgestellt waren.
    Johannes entging ihr angespanntes Mienenspiel nicht. »Ich weiß, das ist noch kein richtiges Museum, aber es ist ein Anfang. Vor genau dreizehn Jahren wurden die Stücke aus früheren Zeiten zum ersten Mal ausgestellt, damals ist Lauscha dreihundert Jahre alt geworden. Meine Eltern waren beim Organisieren mit dabei. Heute finden es alle gut, dass die Vergangenheit auf diese Art lebendig bleibt. Schau, hier siehst du zum Beispiel ein paar von den ersten Gläsern, die in Lauscha hergestellt wurden.« Johannes zeigte auf eine Vitrine mit hellgrünen Krügen und Humpengläsern, die mitbäuerlichen Motiven bemalt waren. Dann ging er an Vitrinen mit Christbaumschmuck vorbei und blieb vor einem Schaukasten mit seltsamen Röhren und Kolben stehen.
    »Und das hier ist die Neuzeit! Dazwischen liegen lächerliche dreihundert Jahre.« Er grinste, als er Wandas ratlose Miene sah.
    »Was um alles in der Welt soll das sein?«
    »Gläser für technische Anwendungen. Heutzutage sind etliche Glasbläser in der Apparatebläserei beschäftigt. Ist ja auch kein schlechtes Geschäft, wo es immer mehr Chemiebetriebe gibt, die das Zeug brauchen. Wer sich darauf spezialisiert hat, findet immer einen Abnehmer. Im Gegensatz zu den anderen, die Nippes herstellen.«
    Die Werkstatt deines Vaters gehörte einmal zu den besten im Dorf. Heute jedoch hat er ziemliche Schwierigkeiten, das waren Maries Worte gewesen.
    »Marie hat schon angedeutet, dass manche Glasbläser Schwierigkeiten haben, Käufer für ihre Waren zu finden. Aber dass halb Lauscha in einer Krise steckt, hat sie nicht gesagt.«
    »Tante Marie!« Johannes lachte. »Was hat die denn schon

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