Die Amerikanerin
und ging anschließend noch auf ein Glas Bier in ein Wirtshaus.
Alles vorbei.
Wanda zeigte auf den schmal aufragenden Kamin, der alle Gebäude in der Nachbarschaft überragte.
»Wie ein einsamer Riese … ein trauriger Anblick.«
Johannes trat von einem Bein aufs andere. »Aber wenn man bedenkt, dass die Schlotfegerhütte und die Glashütte in der Obermühle schon vor Jahrzehnten ihren letzten Arbeitstag hatten, dann hat die gute alte Mutterhütte ziemlich lange durchgehalten. Heute gibt es moderne Glasfabriken, da könnte solch ein altmodischer Betrieb nie und nimmer mithalten. Tja, so ist eben der Lauf des Lebens, und niemand kann ihn aufhalten.«
»Der Lauf des Lebens …, du hörst dich an wie ein alter Mann«, frotzelte Wanda.
»Ha, das glaubst auch bloß du! Du müsstest mal dabei sein, wenn mein Vater und die anderen Glasbläser am Stammtisch zusammensitzen! Früher war alles viel besser!«, imitierte Johannes den Tonfall seines Vaters.
Auf ihrem Rundgang durch Lauscha waren sie nun schon an mindestens fünf Häusern vorbeigekommen, in denen laut Johannes die Produktion eingestellt worden war, die Familie verarmte und am Hungertuch nagte. Halb Lauscha schien dem Zerfall nahe zu sein. Und nun auch noch die marode Ruine, die den ganzen Dorfplatz verschandelte!
Johannes räusperte sich unsicher. »Wenn du willst, könnten wir als Nächstes ins Museum gehen. Dort erfährst du mehr über unser Lauscha als anderswo. Und außerdem ist’s dort einigermaßen warm.«
»Du bist der Stadtführer!«, erwiderte Wanda, deren Füße inzwischen zu Eisklötzen erstarrt waren. Bevor sie die Straße überqueren konnten, mussten sie eines der vielen Fuhrwerke vorbeilassen, die hoch beladen über die holprige, steile Hauptstraße polterten. Im Vorbeifahren hob einer der Gäule seinen Schweif und setzte einen Haufen dampfender Pferdeäpfel vor Wanda und Johannes ab.
»Schönen Dank!«, rief Johannes dem Gefährt hinterher.
Wanda lachte. »Meine Mutter hat mir erzählt, dass in früheren Jahren Frauen die Glaswaren in Körben auf dem Rücken nach Sonneberg und anderswohin transportiert haben. Sie selbst hat dies auch mit Maries ersten Kugeln getan. Aber so etwas gibt’s wohl nicht mehr, oder?«
»Nee, heute wird das ganze Glaszeug nur noch an den Bahnhof gekarrt, und von dort geht’s auf dem Schienenweg weiter.« Johannes deutete auf die Wipfel der Tannenwälder, die sich links und rechts des Dorfes an steilen Berghängen entlangzogen. »Ich wette, dass es spätestens heute Abend schneit. Dieser weißliche Dunst ist kein Nebel, das sind Wolken, in denen schon der Schnee hängt.«
»Hoffentlich hast du recht mit deiner Wettervorhersage. Ich kann es kaum erwarten, bis die weiße Pracht da ist!« Wanda strahlte. Wie hatte Marie von den Kontrasten geschwärmt, wenn sich die schiefergrauen Hausdächer dunkel gegen den Schnee abhoben!
Sie waren keine zehn Meter gegangen, als plötzlich hinter einem Gartenzaun ein großer schwarzer Hund auftauchte und fürchterlich zu bellen begann. Wanda schrak zusammen.
»Ja, was gauzt du denn so?«, rief Johannes. »Wir tun doch deinen Heppala nichts!« Aus einem Holzverschlag war das Weinen von Tieren zu hören. »Die frieren im Schtohl, deshalb jammern sie so.«
Wie immer, wenn ihre Verwandten in ihren komischen Dialekt verfielen, verstand Wanda kein Wort. Sie wollte gerade fragen, ob »Heppala« nun Lämmer oder Zicklein waren, als eine Frau ihren Kopf aus dem Fenster streckte und den Hund rief.
»Guten Tag, Karline, was macht deine Brut?«, rief Johannes. »Das ist eine von unseren Bemalerinnen«, flüsterte er Wanda zu.
»Im Wald sind’s, die Luder! Lassen mich allein mit der Arbeit!« Um ihre Aussage zu unterstreichen, hielt sie einen Pinsel in die Höhe, dessen Spitze in rote Farbe getaucht war. »Kannst deiner Mutter sagen, die Nikoläuse seien fertig.« Sie kratzte sich mit dem Pinsel am Kopf. »Und da ist ja auch die Amerikanerin! Seid ihr auf dem Weg … ins Oberland?« Vertraulich zwinkerte die Frau Wanda zu.
Verunsichert lächelte Wanda zurück.
»Nein, ins Museum wollen wir!«, rief Johannes der Frau über die Schulter zu. »Der Besuch aus Amerika soll doch ordentlich von unserem Dorf und seiner Geschichte beeindruckt werden.«
»Und das willst du mit ein paar alten Glasscherbenschaffen?« Die Frau lachte und warf Wanda erneut einen vielsagenden Blick zu. »Na, dann viel Spaß.«
»Was war denn das nun wieder? Kannst du mir sagen, warum die mich alle so
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