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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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dunklen Gang, eine Treppe hinauf und dann in die Küche. In diesem Haus hatte sie ihr erstes Lebensjahr verbracht – der Gedanke ließ keine einzige Regung in ihr aufkommen. Sie räusperte sich, um den pelzigen Belag von ihren Stimmbändern zu bekommen.
    »Hab schon gedacht, du kommst gar nicht. Aber du warst ja krank.« Ohne ihr einen Platz anzubieten, ließ sich Thomas Heimer auf der Eckbank nieder. Sitzend hangelte er mit einer Hand zum Herd hinüber und schob einen Topf mit klapperndem Deckel zur Seite.
    »Eva!«, schrie er und sagte dann zu Wanda in normalem Ton: »Was willst du?«
    Wanda blinzelte. Die Luft in dem Raum war abgestanden und roch sehr seltsam. Unwillkürlich floh ihr Blick zu dem einzigen Fenster, vor dem sich Schneemassen türmten und jede Frischluftzufuhr unmöglich machten.
    »Was werde ich schon wollen? Sie …, äh, ich meine … dich besuchen natürlich«, sagte sie betont mädchenhaft, um sich im nächsten Moment dafür zu schelten. Sie hörte sich an wie ein Baby und nicht wie eine erwachsene Frau, die ihren Wurzeln nachspüren wollte. Spontan setzte sie sich ihm gegenüber.
    »Du scheinst ja gut über mich informiert zu sein«, sagte sie in Anspielung auf seine Bemerkung. »In der Tat war icheinige Wochen krank, sonst hätte ich schon früher einmal vorbeigeschaut.« Noch während sie sprach, suchte sie krampfhaft nach weiterem Gesprächsstoff. Auf einmal war alles ganz anders. Von wegen: »Ich habe erst kürzlich erfahren, dass du mein Vater bist!« Sie hatte keine Lust, sich dem Mann mit den aufgesprungenen Lippen und dem unhöflichen Benehmen zu offenbaren. Am liebsten wäre sie aufgestanden und wieder gegangen.
    Sie und dieser Mann hatten sich nichts zu sagen.
    Ihr Besuch hier – nichts als ein bedauerlicher Irrtum. Wieder eine ihrer dummen Ideen.
    Wie der Gedanke, sie könnte für Johanna und ihre Familie nützlich sein – lächerlich!
    »Ich weiß, dass du keinen Wert darauf legst, mich zu sehen. Das kann auch gar nicht anders sein, alles andere wäre Heuchelei. Machen wir es also kurz.« Sie stand auf. »Hier sind ein paar Mitbringsel. Weihnachtsgeschenke. Es ist auch was für die anderen dabei.«
    Die in glänzendes Geschenkpapier gewickelten Gaben wirkten auf dem abgenutzten Holztisch deplatziert. Noch ein Fehler, dachte Wanda entsetzt. Ihre Finger umklammerten den Rand des Tisches so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden.
    Noch immer saß, nein, kauerte Heimer mit unbewegter Miene auf der Bank. Er schien verunsichert.
    Wie ein streunender Hund, um den sich schon lange niemand mehr gekümmert und der die einfachsten Regeln des Zusammenlebens verlernt hatte, dachte Wanda.
    Ihr Vater.
    Ein Fremder, für den sie nichts empfand außer einer Spur Mitleid.
    Unvermittelt lief ihr Herz fast über vor Liebe für den Mann, der achtzehn Jahre lang den Platz von Thomas Heimer eingenommen hatte: Bilder ihres Stiefvaters flackerten vorihrem inneren Auge auf – Steven in seinen eleganten Anzügen, Steven am Steuer seines neuen Wagens, auf den er so stolz war, Steven inmitten von hochrangigen Geschäftsleuten. Heiße Scham ließ Wandas Wangen rot werden. Immer war Steven für sie da gewesen, jede ihrer Dummheiten hatte er ihr vergeben. Und wie wenig hatte sie es ihm gedankt! Seit sie über ihre Herkunft Bescheid wusste, hatte sie ihn wie Luft behandelt, seine Verletztheit ignoriert, ja, ihn dafür fast belächelt, als wolle sie ihn herausfordern: Welches Recht, welchen Anspruch hast du auf meine Liebe?
    Von der Treppe her wurden Schritte laut, begleitet von einem kurzatmigen Schnaufen. Auf einmal war Wanda die Vorstellung, ein weiteres Familienmitglied kennenzulernen, unerträglich.
    »Ich will nicht weiter stören. Du hast ja sicher in der Werkstatt zu tun …« Ohne Heimers Antwort abzuwarten, wandte sie sich um, als im Gang ein Schatten auftauchte und eine mürrische Frauenstimme ertönte.
    »Wilhelm ist heute mal wieder unmöglich! Ich hab nur zwei Hände und kann nicht ständig zu ihm springen! Wo der Michel mich heute auch schon dreimal gerufen …«
    Wie angewurzelt blieb Eva im Türrahmen stehen. Ihr Blick wanderte zwischen Thomas und Wanda hin und her.
    »Hab ich doch richtig gehört!« Mit verschränkten Armen trat sie näher und beäugte Wanda. »Die Amerikanerin, sieh einmal an …«
    »Hallo, Eva.« Wanda lächelte dünn, während sie der feindseligen Musterung standhielt. Nein, sie würde nicht über diese alte, verhärmte Frau nachdenken, die genauso alt war wie ihre

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