Die Amerikanerin
Mutter. Aber was um alles in der Welt hatte dieses Weib mit der Verführerin aus Ruths Schilderungen zu tun? Und was …
Eva ging zum Herd, nahm den Deckel vom Topf, aus dem sofort eine eigenartige Duftwolke entwich, und hob etwasKleines, Knochiges heraus, von dem Wanda geschworen hätte, dass es ein Eichhörnchen war.
»Ich finde den Weg allein hinaus«, presste Wanda hervor, während sie versuchte, nur durch den Mund einzuatmen.
»Nichts da!« Thomas Heimer setzte sich auf. »Jetzt trinkst du wenigstens eine Tasse Kaffee mit uns. Sonst heißt’s nachher noch, bei uns bekäme ein Gast nichts angeboten! Eva, stell Wasser auf. Und bring Brot und was drauf.«
Nachdem die Gelegenheit zu einem schnellen Aufbruch vertan war, blieb Wanda nichts anderes übrig, als sich zu ihrem Vater an den Tisch zu setzen. Während Eva mit feindseligem Blick ein paar Becher und Teller auf den Tisch knallte, bemühte Wanda sich, ein Gespräch anzufangen.
Beeindruckt äußerte sie sich über die Schneemassen. Ob das nun bis zum Frühjahr so bleiben würde, wollte sie wissen, dabei kannte sie die Antwort ja schon.
Thomas Heimer fragte nach ihrer Reise und ihren Eindrücken von Lauscha. Wandas Antworten lauschte er ohne echtes Interesse und widmete sich derweil seinem Kaffee. Seine Gleichgültigkeit hatte etwas zur Schau Gestelltes.
Als alle Themen, die Wanda sich zurechtgelegt hatte – bis auf »die Vergangenheit«, »der kranke Großvater« und »die Glasbläserei« –, abgehandelt waren, entschied sich Wanda für Letzteres. Noch ein, zwei Sätze aus purer Höflichkeit, dann würde sie verschwinden.
»Johannes hat mich zu ein paar Glasbläsern mitgenommen, damit ich mit eigenen Augen sehen kann, welche Vielfalt an Glas in Lauscha hergestellt wird.« Sie lachte verlegen. »Ehrlich gesagt, haben mich die Glasmurmeln am meisten fasziniert. So viele Farben in einem so kleinen Stück Glas!«
»Der Märbel-Michel versteht sein Handwerk.« Mehr sagte Heimer nicht.
»Und was tut sich in eurer Werkstatt so?«, fragte Wanda. Noch während sie sprach, merkte sie, wie wichtig die Frage auf einmal für sie war. Vielleicht … Wenn Thomas Heimer über seine Arbeit reden würde, kam er womöglich dem Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte, ein wenig näher. Bisher jedoch hatte der Mann ihr gegenüber nicht das Geringste mit jenem begnadeten Glasbläser zu tun, den Marie ihr so euphorisch geschildert hatte. Und auch mit dem Draufgänger, als den ihre Mutter ihn dargestellt hatte, konnte Wanda keine Ähnlichkeit entdecken. Stattdessen wirkte Thomas Heimer beinahe … verletzlich.
»Fast gar nichts, wenn du’s genau wissen willst«, schaltete sich da zum ersten Mal Eva in das Gespräch ein. »Wir nagen zwar noch nicht am Hungertuch, aber viel fehlt nicht! Wenn du glaubst, hier gäbe es was zu holen, dann hat deine Mutter dich umsonst geschickt. Sie …«
»Eva, halt den Mund! Deshalb ist Wanda nicht da«, fuhr Heimer scharf dazwischen.
Hoppla, was war das? Wanda schaute Heimer an, und ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Moment.
»Du hast ja sicher gehört, dass Michel keine große Hilfe mehr ist.« Thomas Heimer nickte vage in Richtung Flur. »Die meiste Zeit muss er liegen. Phantomschmerzen nennt man sein Leiden. Und Vater hat seit Wochen das Bett nicht mehr verlassen. Dabei hat er es sich noch im Sommer nicht nehmen lassen, wenigstens für ein, zwei Stunden täglich in der Werkstatt vorbeizuschauen.«
Wurde darauf eine Bemerkung von ihr erwartet? Wanda entschied sich, erst einmal weiter zuzuhören. Sie hatte den letzten Schluck Kaffee gerade getrunken, als Eva ihr die Kaffeetasse entriss.
»Jetzt tu nicht so, als ob du Wilhelm bei der Arbeit vermisst. Nicht einmal im letzten Quartal des Jahres sind ein paar ordentliche Aufträge gekommen – da liegt doch derHund begraben!«, fauchte sie vom Spülstein her zu ihnen hinüber.
»Aber woran liegt das denn? Heimer’sche Glaswaren haben doch einen sehr guten Ruf, oder? Marie hat mir erzählt, dass eure Werkstatt zu den führenden im Dorf gehört.« Als Wanda das kurze Aufleuchten in Thomas Heimers Augen sah, war sie froh, nicht in der Vergangenheitsform gesprochen zu haben, wie Marie es getan hatte. Vielleicht hatte sie ihm so zum Abschied eine kleine Freude bereiten können.
Doch schon im nächsten Moment senkte sich ein Schleier über Heimers Blick. »Was nutzt es, wenn keiner mehr Glas haben will? Überall sprießen Porzellanmanufakturen wie Pilze aus dem Boden – die
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