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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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konnte. Weiße Wände und viel Glas, damit der Blick des Betrachters durch nichts von ihren bunten Bildern abgelenkt werden würde! Marie seufzte.
    Das Einzige, was ihr derzeit bei ihrer Arbeit fehlte, war das Lob, das früher immer sehr großzügig von Johannas Kunden gekommen war. Ohne Bewunderer war ihre Arbeit wie ein Echo ohne Widerhall – so viel künstlerische Eitelkeit musste sie sich eingestehen. Daher konnte sie kaum erwarten zu erfahren, wie ihre neuartigen Glasarbeiten von den kunstsinnigen Genuesern aufgenommen werden würden!
    Doch statt in die Dose mit den grünlichen Glastropfen zu greifen, die sie für ihr Bild benötigen würde, stand sie auf und ging zu dem Wandregal, in dem sie den Stapel Glasröhren aufbewahrte, die Franco ihr schon vor Wochen besorgt hatte. Fasziniert von ihrer neuen Technik, Glasstücke mittels einer Bleifassung zusammenzusetzen und so Mosaike zu kreieren, hatte Marie die Rohlinge bisher links liegen lassen. Doch nun rückte Weihnachten unaufhaltsam näher.
    Ihr erstes Weihnachtsfest ohne ihre Familie.
    Ihr erstes Weihnachten mit Franco.
    Sollte ihre Überraschung für ihn rechtzeitig fertig werden, musste sie sich sputen.
    Als sie eine der Röhren in die Hand nahm, fühlte es sich altbekannt glatt und kühl an. Glück schwappte über sie wie eine Welle. Franco und seine Eltern würden staunen, wennam Heiligen Abend ein Tannenbaum voller neuer Glaskugeln im Esszimmer stand!
    Lange hatte sie darüber gegrübelt, wie diese Kugeln aussehen sollten. Die Farben Rot, Gold und Grün, die man in Deutschland mit Weihnachten verband, schienen ihr für den Palazzo zu schwer. Sie wollte die italienische Leichtigkeit einfangen, das glitzernde Blau des Meeres, das Weiß der marmornen Terrassenbrüstung, die blasse Wintersonne. Während sie die Gasflamme anzündete, versuchte sie, sich ein Bild von dem zu machen, was sie vorhatte: versilberte Kugeln, bemalt mit federleichten Pinselstrichen in pastellfarbenen Tönen.
    Das altbekannte Summen der Flamme im Ohr, begann Marie, gleichmäßig große Kugeln zu blasen.

11
    »Bist du dir wirklich sicher, dass du gehen willst? Immerhin hätte er ja auch auf dich zukommen können …« In einer selten vertraulichen Geste legte Johanna ihre Hände auf Wandas Schultern. Die Finger waren vom Schneeschippen so verfroren, dass Wanda die Eiskälte durch den Stoff ihres Wollkleides fühlen konnte. Von draußen war Magnus’ Fluchen zu hören, der Johanna abgelöst hatte. Über Nacht hatte es einen halben Meter geschneit, und um aus dem Haus zu kommen, mussten schier endlose Berge Schnee zur Seite geschafft werden.
    »Ist er aber nicht«, antwortete Wanda schlicht und fügte dann hinzu: »Es macht mir nichts aus, den ersten Schritt zu tun. Und Weihnachten ist doch ein guter Anlass, oder?« Sie deutete auf ihre Leinentasche, in die sie Geschenke für ihren Vater, Onkel Michel, Eva und den bettlägerigen Wilhelm gepackt hatte. Nicht viel, Kleinigkeiten nur – ein paarTaschentücher für die Männer, dazu für jeden eine Flasche Kräuterschnaps, den sie auf Peters Rat hin im Krämerladen gekauft hatte. Eva sollte ein silbernes Medaillon bekommen, das Wanda bei einem Silberschmied in einer Seitenstraße der Fifth Avenue gekauft hatte. Eine Frau wie sie würde sich bestimmt über ein Schmuckstück freuen.
    »Ich möchte nur nicht, dass du …« Etwas ratlos brach Johanna ab.
    »Dass ich enttäuscht werde?« Wanda lachte trocken, während sie ihr Kopftuch mit einem festen Knoten unter dem Kinn zuband. »Dass Thomas Heimer mich nicht mit offenen Armen an seine Brust drücken wird, weiß ich selbst. Wahrscheinlich ist er nicht einmal sehr erfreut, mich zu sehen. Aber das interessiert mich nicht. Ich will einfach den Mann kennenlernen, zu dem ich unter anderen Umständen Vater gesagt hätte. Mach dir bitte keine Sorgen um mich.« Sie war schon fast zur Tür hinaus, als sie sich noch einmal umdrehte.
    »Da wäre nur noch eines …«
    »Ja?«
    Wanda spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. »Wie um alles in der Welt spreche ich ihn an? Ich meine …, ich kann doch schlecht Sie zu ihm sagen, oder? Andererseits komme ich mir bestimmt blöd dabei vor, einen Fremden einfach zu duzen.«
    Johanna lachte. »Wenn das dein größtes Problem ist, kann ich dich beruhigen! Thomas Heimer kannst du getrost duzen. Bei uns in Lauscha ist das gang und gäbe.«

    Die Straßen von Lauscha waren an diesem Tag noch belebter als sonst. Die geschäftige Betriebsamkeit hatte jedoch

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