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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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eingenommene Kerle! Dass Du trotzdem Dein Glück versuchen willst, spricht für Deine große Hilfsbereitschaft, die ich schon in New York kennenlernen durfte. Ob dies tatsächlich die Aufgabe ist, nach der Du immer gesucht hast, wird allerdings erst die Zeit zeigen. Ich kann Dir auch hierbei nur raten, es langsam angehen zu lassen und nicht Dein ganzes Herzblut zu investieren.
    Und bitte: Schreib Deiner Mutter und versuche ihr zu erklären, was Dich zu diesen drastischen Schritten bewogen hat – Ruth liebt Dich mehr, als Du ahnst, und das Gleiche gilt für Steven. So, und nun habe ich auch noch eine Neuigkeit für Dich. (Bitte sei so gut und gib diese Seiten des Briefes an Johanna weiter, damit ich nicht alles zweimal schreiben muss.)
    Eigentlich hätte ich Euch schon längst Bescheid sagen sollen, aber ich war der Ansicht, nach all dem Trubel um mich wäre es das Beste, die Gemüter würden erst einmal zur Ruhe kommen.
    Ich werde Mutter!
    Im Mai soll das Kleine auf die Welt kommen – was sagst Du dazu? Ich freue mich natürlich riesig, das kannst Du Dir sicher vorstellen. Da dachte ich jahrelang, ich gehöre zu den Frauen, deren Leib unfruchtbar bleibt, und dann muss nur ein junger Mann daherkommen, und schon geht die Saat auf! Ich habe bereits einen kleinen Bauch, und Franco sagt, wenn ich weiter für zwei esse, würde er mich bald durch den Palazzo rollen können. Hin und wieder plagt mich ein wenig Bauchweh. Franco sagt dann immer, das Kleine wäre vorwitzig. Ich habe mich schon gefragt, ob ich einmal einen Arzt aufsuchen soll, aber wenn ich daran denke, wie unproblematisch Johanna sogar ihre Zwillinge bekommen hat … Selbst am Tag der Niederkunft stand sie noch in der Werkstatt, und keine zwei Wochen später auch schon wieder. Das macht mir natürlich Mut, wenn es wieder einmal im Rücken zwickt oder im Unterleib kneift. Nun ja, die Jüngste bin ich halt leider nicht mehr, aber ich will nicht jammern. Noch sitze ich täglich an meinem Bolg (ich nenne meinen Arbeitstisch immer noch Bolg, obwohl ich zurzeit nur mit dem Lötkolben arbeite). Wanda, wenn Du die Bilder sehen könntest, die ich in den letzten Tagen fertiggestellt habe! Diese satten Farben, dieses Glühen, das aus dem Glas selbst kommt! Es ziemt sich ja nicht für einen Künstler, sein eigenes Werk zu loben, aber meine Serie »In vigneto« ist wirklich das Beste, was ich bisher gemacht habe. Eigentlich hatte ich vor, die drei Bilder Franco zu Weihnachten zu schenken, aber dann hat mir die Zeit zur Fertigstellung doch nicht gereicht. Als ich sie ihm gestern zeigte, hatte er Tränen in den Augen, so gerührt war er, dass ich seine geliebten Weinberge als Inspiration genommen habe. Er will die Glasbilder an die Fenster seines Büros hängen. Es wäre vielleicht gar keine schlechte Idee, wenn ich seine frohe Stimmung nutzen würde, um ihm meinen neuesten Plan zu unterbreiten … Dass ich im kommenden Sommer eine kleine Galerie eröffnen möchte, habe ich Dir ja schon geschrieben, aber meine neueste Idee ist, Sherlain und Pandora zur Eröffnung einzuladen und dabei Dichtung, Tanz und Glaskunst zu vereinen, sozusagen. Ich bin gespannt, was Franco dazu sagt.
    Liebste Wanda, nachdem ich mir nun die Finger wund geschrieben habe, werde ich hier enden und meinen Liebsten aufsuchen, obwohl ich bis zum Büro eine halbe Wanderung hinter mich bringen muss! Wenn die Gänge in diesem riesigen Gemäuer nur nicht so endlos lang wären!
    Grüße alle ganz herzlich von mir und sag ihnen, dass Ihr mir alle schrecklich fehlt!
    In Liebe, Marie

    Erschöpft legte Marie die Feder aus der Hand. Ihr Blick fiel auf die Kugeluhr, die an einer goldenen Kette um ihren Hals baumelte. Schon zehn Uhr! Wo war die Zeit geblieben? Die Antwort lag vor ihr: ganze zehn Briefseiten. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals einen so langen Brief geschrieben zu haben! Obwohl ihr Magen inzwischen vor Hunger zu grummeln begann, las sie alles noch einmal durch, verbesserte hier etwas, unterstrich da etwas, kritzelte an anderer Stelle etwas an den Rand. Am Ende zögerte sie für einen Moment. Wandas Depesche war so eindringlich gewesen, so hoffnungsvoll! Gleichzeitig hatte Marie aus jeder Zeile herauslesen können, dass ihre Nichte Angst vor der eigenen Courage hatte und sich nichts sehnlicher wünschte, als zugleich Absolution und Zustimmung für ihre Pläne zu bekommen. Aber das konnte und wollte Marie ihr nicht geben, die Neuigkeiten aus Lauscha waren noch zu frisch, und sie war sich noch

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