Die Amerikanerin
»Und dann habe ich immer Angst, mir würde ein Käfer zwischen die Beine krabbeln. Oder gar in den Po …« Sie kicherte ausgelassen.
»Mit eurem Geplapper seid ihr schlimmer als die Elstern, die den ganzen Tag auf unserem Balkongeländer sitzen und lärmen!«, grummelte Sherlain.
Die anderen schauten zu ihr hinüber. Im Gegensatz zu ihnen hatte Sherlain genau die von den Monte Veritànern vorgeschriebene Sonnenbad-Haltung eingenommen. Ihre Haare lagen ausgebreitet auf dem grünen Moos und glichen einem lodernden Flammenkreis. Mehr denn je sah sie wie eine keltische Göttin aus.
Eine Zeitlang gaben sich die vier Frauen schweigend ihrem Sonnenbad hin, schließlich begann Pandora sogar zu schnarchen.
Marie lächelte in sich hinein. So gelöst hatte sie die Tänzerin noch nicht erlebt!
In New York waren Sherlain und Pandora bunte Paradiesvögel gewesen, die für ihre Andersartigkeit angehimmelt wurden – hier waren sie nur zwei von vielen Menschen, die sich für auserkoren hielten. Die Lebensweise der Veritàner schien beiden gutzutun. Um ehrlich zu sein, fand Marie den ewigen Drang, göttliche Weisheit zu erlangen, allerdings etwas skurril, auch wenn sie das Franco gegenüber nie zugegeben hätte. Und dann diese Verteufelung von Alkohol! Wein und Bier seien nur etwas für schwache Menschen – diese Botschaft wurde von Franz am heftigsten vermittelt, und bei vielen kam sie sogar an: Seit ihrer Ankunft auf dem Monte Verità hatte Sherlain keinen Tropfen mehr getrunken. Pandora war nicht ganz so streng mit sich. Das Gleiche galt für das »Leichenfressen«, von dem die Veritàner glaubten, dass es Körper und Geist verunreinigte. Während Marie mit den Apfelschnitzen, den klein geschnittenen Möhren und Kohlrabi auf ihrem Teller gut zurechtkam, weigerte sich Franco, sich auf die vegetarische Ernährung einzulassen.
»Das ganze Tessin schwelgt im dolce vita – und ich soll mich mit Salatblättern zufriedengeben?«, hatte er gleich zu Beginn gesagt und beschlossen, zumindest eine Mahlzeit pro Tagunten im Dorf einzunehmen. Hin und wieder begleiteten Marie und Pandora ihn. Doch nach der Völlerei mit luftgetrocknetem Schinken und Nudelgerichten, verfeinert mit Morcheln und Trüffeln, bekam Marie regelmäßig ein schlechtes Gewissen. Außerdem machte das italienische Essen dick. Sie hatte das Gefühl, noch nie so viel auf den Rippen gehabt zu haben. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie bald der guten Gorgi Konkurrenz machen!
Franco jedoch genoss es in vollen Zügen, mit Marie am rechten und Pandora am linken Arm durch die engen Gassen Asconas zu stolzieren. Wenn sie einkehrten, bestand er jedes Mal darauf, auch Pandoras Zeche zu übernehmen, was Marie allmählich wirklich zu weit ging. Die Tänzerin zeigte ihrem Gönner gegenüber nämlich keine Spur von Dankbarkeit, ganz im Gegenteil.
»Wie kann man mit dem Handel von Rotwein so viel Geld verdienen, wo er doch überall so billig zu haben ist? Wer weiß, was hinter deinen ›Geschäften‹ wirklich steckt!«, hatte sie ihn erst gestern Abend wieder geneckt und dafür von Marie einen Stoß in die Rippen kassiert. Über Geld oder Geschäfte zu sprechen galt in adligen Kreisen als unfein, hatte Franco ihr einmal in ziemlich kühlem Ton erklärt, als sie ihn auf seinen nie versiegenden Geldfluss angesprochen hatte. Dabei hatte sie ihm eigentlich nur vermitteln wollen, dass es ihr nicht recht war, wenn er ständig so viel Geld für sie ausgab. Nachdem er jedoch gleich eingeschnappt reagierte, hatte sie das Thema gewechselt … So schlimm fand sie es nun auch wieder nicht, von ihm verwöhnt zu werden.
Marie seufzte zufrieden. Hatte sie es nicht außerordentlich gut getroffen? Den besten Liebhaber der Welt und …
»Wie siehst du das, Marie?«, dröhnte es plötzlich an ihrem Ohr. »Du bist doch auch Künstlerin, da müsste dir eine Art zweites Worpswede hier oben auf dem Monte gerade recht kommen, oder?«
»Was? Was soll ich wie sehen?« Marie blinzelte gegen die Sonne in Pandoras erhitztes Gesicht.
»Jetzt sag bloß, du hast von unserem Gespräch gerade eben nichts mitbekommen!«
Marie lachte verlegen. »Tut mir leid, ich muss mit meinen Gedanken auf Wanderschaft gewesen sein.«
»Ich brauche wohl nicht zu fragen, zu wem deine Gedanken wieder einmal gewandert sind! Führt deine Verliebtheit inzwischen dazu, dass du deinen Verstand verlierst?« Pandora streifte sie mit einem ärgerlichen Blick, bevor sie sich wieder Sherlain zuwandte: »Ich bleibe dabei:
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