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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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im Auge behielt, versuchte Harold sich zu erinnern, wie vielen deutschen Vereinen Wanda in den letzten drei Wochen einen Besuch abgestattet hatte: Sie war bei den »Schwarzwälder Brüderschaften« gewesen, bei den»Mecklenburger Landfrauen«, dem »Sängerbund Hamburger Eintracht« und außerdem bei den »Donauschwaben«. Detailliert hatte sie ihm jedes Mal von den Sitten und Bräuchen der jeweiligen »Landsmannschaft« – so nannte man die einzelnen Gruppen wohl – erzählt beziehungsweise vorgeschwärmt. Von der Kameradschaft unter den Vereinsmitgliedern. Von deren Vaterlandsliebe, die sie in jedem Wort, in jeder Geste zu erkennen glaubte. Bisher war sie sich noch nicht sicher, welchem Verein sie sich endgültig anschließen wollte. Bei den Deutschen aus dem Norden gefielen ihr vor allem die Lieder, bei den Bayern gab es das beste Essen, die Donauschwaben hatten die ansprechendsten Bräuche und Rituale. Im Augenblick gingen Wandas Sympathien in diese Richtung: Als Harold sie am letzten Wochenende zu einem Spaziergang hatte abholen wollen, hatte er sie über eine Stickerei gebeugt angetroffen. »Donaublau und grüne Auen, wollen ewig unser Herz erbauen«  – stolz hatte sie ihm den vorgezeichneten Schriftzug hingehalten, von dem sie gerade einmal das große D ausgestickt hatte – und das mit mehr Leidenschaft als Können. Ihrer Mutter war das Ganze sichtbar peinlich gewesen, aber was hatte Ruth Miles je gegen die Einfälle ihrer Tochter ausrichten können?
    Harold lächelte. Wanda! Der Elan, mit dem sie sich ihrem jeweiligen Projekt widmete, war wirklich einzigartig.
    Seit Maries Abreise war sie geradezu besessen von der Idee, ihren deutschen Wurzeln nachzuspüren. Mit ihrem Fanatismus erinnerte Wanda ihn an einige seiner Kollegen an der Börse, die nie mit ihren Umsätzen zufrieden waren, sondern sich stets vorwarfen, sie hätten noch gewiefter, noch schneller agieren müssen. Bei manchen wurde dieses Streben zu einer fixen Idee, der sie ihr ganzes Leben unterordneten. Bei aller Hingabe an seinen Beruf – so wollte er nie werden, hatte sich Harold geschworen.
    Aber eines hatte er Wandas neuester Begeisterung immerhin zu verdanken: Davon, dass sie sich Arbeit suchen wollte, warkeine Rede mehr. Vielmehr verbrachte sie ihre Tage nun damit, deutsche Geschäfte zu durchstöbern und Bücher über Deutschland zu lesen. Wenn sie sich trafen, wollte sie über ihre Lektüre reden. Auf Deutsch natürlich. Dass er nur ein paar Brocken konnte, hielt sie nicht weiter davon ab. Wenn er wollte, würde sie ihm ihre Muttersprache beibringen, hatte sie angeboten. Ihre Muttersprache! Harold hatte dankend abgelehnt.
    Er drehte das Wasserglas in seinen Händen. Er war gespannt, was als Nächstes kommen würde. Sollte sich Wanda im gleichen Maße in die Hochzeitsvorbereitungen und später in die Haushaltsführung stürzen, würde von seiner Gehaltserhöhung am Ende eines Monats nicht mehr viel übrigbleiben. Und wenn schon! Es war höchste Zeit, dass Wanda endlich die »Aufgabe im Leben« bekam, nach der sie suchte, seit er sie kannte.

    Eine Viertelstunde später sah er endlich hinter den raumhohen Glasscheiben des Lokals Wandas silberblonden Schopf aus einem Taxi auftauchen. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kostüm, das ihre schlanke Figur hervorragend zur Geltung brachte.
    Den Rock fast bis zum Knie hochgerafft, stürmte sie ins Lokal, vorbei an dem Kellner, der ihr beflissen den Weg weisen wollte. Fast wäre sie an Harolds Tisch vorbeigelaufen, als sie ihn im letzten Moment erspähte.
    »Harry, du kannst dir gar nicht vorstellen, was ich gerade eben erfahren habe!«
    Bevor Harold aufstehen konnte, um ihr den Stuhl zurechtzurücken, hatte sie sich schon ihm gegenüber fallen lassen.
    Ihr Auftritt war von den anderen Gästen nicht unbeachtet geblieben. Ob Entenbrust à l’orange, Pommes aux truffes oder glasierte Hummersuppe – angesichts Wandas Esprits schienen die kulinarischen Köstlichkeiten fade zu schmecken. Das Geschehen am Nebentisch war plötzlich viel anregender!
    »Musst du so einen Wirbel machen?« Harold stemmte sich gegen den Hauch von Unmut, der sich in ihm breitmachte. Heute war sein Abend. Er wollte bestimmen, wo’s langging!
    »Stell dir vor: Marie hat geheiratet!«, platzte Wanda heraus.
    »Geheiratet?«, quäkte er. Dann räusperte er sich und setzte mit tieferer Stimme nach: »Wen hat sie denn geheiratet? Und woher weißt du davon?« Was für eine dumme Frage! Natürlich musste sie Franco geheiratet

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