Die Amerikanerin
haben!
»Weißt du, dass ich genauso reagiert habe, als Mutter mir von Maries und Francos Blitzheirat erzählt hat?« Wanda fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Dann berichtete sie ihm von dem Telefonanruf, den ihre Mutter von Johanna erhalten hatte. Scheinbar hatte Marie es gerade einmal für nötig befunden, ein Telegramm nach Lauscha zu schicken. Sie hatte darin allerdings weder weitere Erklärungen abgegeben, noch hatte sie vor, ihren Bräutigam und Ehemann ihrer Familie in Kürze vorzustellen. Sie teilte lediglich mit, dass sie von nun an in Genua leben und arbeiten werde.
Als ob Genua um die Ecke lag! Harold fand Maries Verhalten schlicht unmöglich.
»In einem richtigen Palast werden sie wohnen, mit Blick aufs Meer! Mutter sind fast die Augen aus dem Kopf gefallen, als Johanna ihr das erzählte.«
Mit einem Lächeln nahm Wanda ein Glas Wasser entgegen, das der Kellner so ehrfurchtsvoll an ihren Tisch getragen hatte, als handele es sich um geschmolzenes Gold.
Harold beobachtete sie, während sie in großen Zügen trank. Typisch Wanda, dachte er liebevoll und erinnerte sich an den eigentlichen Sinn ihrer Verabredung.
»Nun hat also auch Marie dem Ruf ihres Herzens nachgegeben …« Kein schlechter Einstieg, gratulierte er sich.
»Ja, aber zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt!« Wanda lachte auf, völlig unbeeindruckt von seinem romantischen Tonfall. »Scheinbar stecken die in Lauscha mitten in denVorbereitungen für ihren neuen Musterkatalog – wie sie den bis Februar ohne Marie fertigbekommen sollen, ist nun die große Frage. Und als ob das nicht reichen würde, hat sich Cousine Anna ausgerechnet jetzt den Knöchel so böse verstaucht, dass sie weder laufen noch den Blasebalg treten kann. Wenn ich das vorhin richtig verstanden habe, ist sie nicht nur Glasbläserin, sondern auch für sämtliche Botengänge zuständig, die das Tagesgeschäft in der Glasbläserei so mit sich bringt. Tante Johanna ist einem Nervenzusammenbruch nahe, sagt meine Mutter. Maries Entschluss, nach Genua zu ziehen, kommt einer mittleren Katastrophe gleich.« Ihre Wangen glühten vor Aufregung.
»Wanda! Kannst du deine deutsche Verwandtschaft mal für einen Moment vergessen?« Eindringlich beugte sich Harold über den Tisch und griff nach ihrer Hand. »Ich habe auch Neuigkeiten … und gute obendrein!« Er machte eine dramatische Pause. »Du sitzt nämlich einem zukünftigen Bankdirektor gegenüber.«
»Harold!« Wanda juchzte laut auf. »Wie ich mich für dich freue!« Schon war sie um den Tisch herum und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Gratulation! Ich bin mir sicher, es gibt keinen Besseren für solch einen wichtigen Posten.« Sie rutschte wieder auf ihren Stuhl zurück.
Harold biss sich auf die Unterlippe. Jetzt oder nie!
»Es gibt da nur einen kleinen Haken … Ich soll eine Filiale unserer Bank in New Mexico übernehmen. Ich weiß, ich weiß, das ist nicht New York! Aber ich habe mich umgehört, Albuquerque soll eine sehr schöne Stadt sein. Sie haben dort ein eigenes Theater, viele Geschäfte und einen gepflegten Park.« Er lachte. »Ich verspreche dir, du wirst New York gar nicht vermissen. Und es ist auch nur für zwei Jahre. Mister Robinson, der für die Einteilung der Filialleiter zuständig ist, meinte, dass es sehr gut sein könnte, dass ich danach …«
»Harold …«
Er griff wieder nach Wandas Hand und tätschelte sie. »Ich weiß, das kommt alles sehr plötzlich. Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass ich so schnell …«
»Harold!«, unterbrach sie ihn ein zweites Mal, diesmal eindringlicher. »Ich … kann … nicht … mit dir nach New Mexico gehen.«
Er lächelte. Seine Wanda kehrte auf einmal die Tochter aus gutem Hause heraus. Immerhin hatte der liederliche Lebenswandel ihrer Tante Marie nicht auf sie abgefärbt!
»Natürlich kannst du«, erwiderte er sanft, während sie ihn bedrückt anstarrte. Er beschloss, sie nicht länger zappeln zu lassen. Mit einer eleganten Handbewegung zog er das lederne Etui aus seiner Tasche. Auf einen Fingerdruck hin schnappte es auf. Harold drehte es so, dass der goldene Diamantring in seiner dunkelblauen Samthülle Wanda direkt anstrahlte. »Aber nur als meine Ehefrau. Deshalb frage ich dich hier und jetzt: Wanda, willst du mich heiraten?«
Sie schaute erst den Ring an, dann ihn. So als könne sie nicht glauben, was gerade geschah.
Harold überrollte eine Welle schlechten Gewissens. Er kannte das Gefühl, das einsetzte, wenn man eine halbe
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