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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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standen.
    »Du hast doch nicht etwa vor, in diesen Tümpel zu steigen?!«
    Die Wasseroberfläche war vom ersten herabfallenden Laub bedeckt. Als Pandora sich näherte, stoben Hunderte von kleinen Mücken auf.
    »Und ob! Hast du nicht zugehört, als Ida ihren Vortrag darüber hielt, wie das Wasser die Kraft der Sonne noch verstärken kann? Außerdem ist mir furchtbar heiß!« Mit großer Geste ließ Pandora das Tuch, das sie um ihren Leib gewickelt hatte, fallen. Nackt begann sie um den Bottich zu tanzen.
    »You have to dance to the music in your heart …« , summte sie vor sich hin, bevor sie mit einem ungraziösen Plumps ins Wasser hüpfte. Brackige Wogen schwappten über den moosbedeckten Bottichrand. Marie und die anderen kreischten, als sie ein paar kalte Spritzer abbekamen.
    »Es scheint, als könnten auch andere die Musik in deinem Herzen hören …« Susanna zeigte in Richtung der Bogenschützen, die auf einer kleinen Waldlichtung ihre Übungsstunde abhielten. Im Augenblick waren die Zielscheiben verwaist und die Blicke auf Pandoras wogende Brüste gerichtet.
    »Lass sie doch gucken. Vielleicht finden sie meinen Anblick so … anregend, dass es für uns auch etwas zu sehen gibt …«, kicherte Pandora. Betont langsam stand sie auf, drehte sich einmal um ihre Achse und tauchte wieder ein. »Na, könnt ihr sehen, ob sich schon etwas regt?!«
    Marie und die anderen Frauen kicherten. Die winzigen Lendenschurze, mit denen die Bogenschützen bekleidet waren, hatten ihnen schon mehr als einmal zur Erheiterung gedient.
    Nachdem sie sich zum Sonnenbad ausgestreckt hatte, merkte Marie, dass sie ziemlich müde war. Ihre Augen fielen zu. Wie angenehm, sich mitten am Tag ein kleines Schläfchengönnen zu können! Was Johanna wohl zu diesem Lebenswandel sagen würde? Sie grinste in sich hinein.
    »Du siehst aus wie die Katze, die sich am Sahnetopf vergangen hat«, sagte Sherlain, während sie ihre roten Locken aus einem Zopf löste.
    »So fühle ich mich auch!« Marie räkelte sich auf ihrem Tuch. »Ich habe gerade daran denken müssen, wie sich mein Leben verändert hat, seit ich Lauscha verlassen habe!« Sie lächelte. Nicht nur ihr hatte der Ortswechsel gutgetan. Dass Sherlain sich nach ihrem verpfuschten Schwangerschaftsabbruch so schnell erholen würde, hätte sie auch nicht gedacht.
    »Sag ich doch immer: Man muss seine eingefahrenen Bahnen verlassen. Wenn man will, ist das Leben ein einziges Abenteuer!«, rief Pandora ihr vom Bottich aus zu.
    Marie verdrehte die Augen. Manchmal ging ihr Pandoras besserwisserische Art erheblich gegen den Strich. Obwohl sie oft recht hatte …
    Da lag sie, Marie Steinmann, zusammen mit drei anderen Frauen, von denen sie keine länger als ein paar Wochen kannte, splitterfasernackt auf einem Tessiner Berg über dem Lago Maggiore! Um sie herum wuchsen aus den Felswänden exotische Pflanzen, ergossen sich Wasserfälle in einen Garten Eden, von dessen Existenz sie bisher nichts gewusst hatte. Menschen sangen Lieder ohne Texte, lustwandelten mit Blumen im Haar über die Waldwege oder machten Bewegungen, die selbst Pandora fremd waren. Eurythmie wurde diese Art von Tanz genannt, hatten sie inzwischen gelernt, und Pandora war so hingerissen davon, dass sie dafür sogar Stunden früher aufstand als gewöhnlich. Schon im Morgengrauen, wenn dünne Nebelschwaden den See noch wie in ein leichtes Gewand einhüllten, sah man sie und andere Tänzerinnen sich wie Elfen am Ufer bewegen.
    Alle Menschen – von ein paar komischen Käuzenabgesehen – waren freundlich, lächelten und liebten sich, viele im ursprünglichsten Sinne des Wortes. Die Liebe lag hier einfach in der Luft, Küsse und Umarmungen, sinnliches Streicheln und erotische Berührungen bildeten einen Teppich, auf dem sich die Veritàner lustvoll tummelten.
    Nachdem Marie mitbekommen hatte, wie freizügig die Menschen auf dem Berg miteinander umgingen, befürchtete sie, dass Sherlain gleich wieder da beginnen würde, wo sie in New York aufgehört hatte. Und tatsächlich: Es hatte keine Woche gedauert, bis Sherlain anfing, von Franz, einem der Begründer der Kolonie, zu schwärmen, von seiner »göttlichen Wortgewalt«, seiner »heiligen Prinzipientreue«, seinem »sternentrunkenen Blick«. Während Marie und Franco sich über die Vorliebe der Veritàner amüsierten, ständig neue, seltsame Worte zu erfinden, war Sherlain hingerissen von der »honigtrunkenen Poesie des Berges«.
    Dass die Dichterin sich ausgerechnet einen solchen

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