Die amerikanische Nacht
Ich wollte auf einen Felsen klettern und reagierte nicht schnell genug, als eine Welle krachend ans Ufer schlug und ich bis zum Schienbein im eiskalten Wasser stand. Die Sache mit dem russischen
Vor
konnte ich vergessen; ich würde wie Tom Hanks in »Cast Away – Verschollen« aussehen, wenn ich dort ankam.
Wenn
ich je dort ankam.
Jetzt wurde der Strand deutlich schmaler, die massiven Klippen wölbten sich wie muskulöse Schultern zur Küste hinab. Vor uns lagen nur noch Strandanwesen für mehrere Millionen Dollar, und es fiel nicht schwer, sich auszumalen, das in einem davon eine geheime Party gefeiert wurde. Doch wenn ich nach vorne blickte – der starke Wind trieb mir die Tränen in die Augen –, konnte ich die schwarzen Silhouetten der Strandhäuser oben auf den Klippen erkennen, aber kein einziges Licht.
Oubliette.
Der vergessene Ort.
Vielleicht bedeutete es, dass sie im Dunkeln feierten.
Hopper war vor mir. Er stiefelte mit verbissener Entschlossenheit still vor sich hin und starrte in den Sand – anscheinend bemerkte er die Kälte nicht, und dass das Wasser seine Chucks durchnässt hatte und sein Mantelsaum aufgeweicht war. Ich ging schneller, um ihn einzuholen. Meine Taschenlampe flitzte über sich wölbende Felsen, leere Krebspanzer und Büschel schwarzen Seegrases. Ich sah, dass er angehalten hatte und neben einer Holztreppe auf mich wartete.
Sie führte vom Strand eine Klippe hinauf zu einem Haus, das oben hinter dem Felshang versteckt stand.
»Glaubst du, das ist es?«, rief er.
Nichts an dieser Treppe erinnerte mich an das Gemälde.
Ich schüttelte den Kopf. »Lass uns weitergehen!«
Wir zogen weiter und erreichten nach zehn Minuten die nächste Treppe. Diese war halb verfallen. Obwohl mich auch hier auf den ersten Blick nichts an Duchamp erinnerte, untersuchte ich sie im Strahl meiner Taschenlampe und stellte überrascht fest, dass die Stufen tatsächlich kubistisch aussahen. Stücke gesplitterten Treibholzes waren grob zusammengezimmert worden. Sie führten im Zickzack den blanken Fels hinauf und verschwanden oben aus dem Blick. Es war eigentlich keine Treppe, eher eine Art klappriger Leiter, die kaum mit dem Felsuntergrund verbunden war.
Es war jedoch die zweite Treppe, an der wir vorbei gekommen waren. Und der Titel des Gemäldes enthielt die Nr. 2 .
»Das könnte sie sein«, rief ich.
Hopper nickte und sprang auf die erste Stufe. Sie war anderthalb Meter über dem Boden, die untersten Stufen und ein Teil des Geländers lagen zerbrochen im Sand verstreut. Die Konstruktion wackelte alarmierend unter seinem Gewicht, als er weiter hinauf kletterte und schließlich einen Teil erreichte, wo das Geländer intakt war und er sich daran abstützen konnte.
Ich trat auf die erste Stufe, erinnerte mich daran, nicht nach unten zu sehen und kletterte hinter ihm her. Jede der Holzplanken fühlte sich klamm und morsch an und bog sich unter meinen Schuhen durch. Einmal zerbrach eine Planke, als Hopper darauf-trat. Sofort rutschte er mit dem Bein durch zwei weitere Planken darunter, so dass er nur noch am Geländer hing und ich mich wegducken musste, um nicht von den vorbeirasenden Holztrümmern im Gesicht getroffen zu werden, die unten auf den Sand krachten.
Er rettete sich zur nächsten Stufe, die sein Gewicht trug und kletterte weiter. Minuten später war er nicht mehr zu sehen. Als ich oben ankam, musste ich mich mit letzter Kraft hochziehen, denn die letzten paar Stufen fehlten komplett. Ich richtete mich im Dünengras auf und schaltete die Taschenlampe aus.
Wir standen in jemandes Garten.
Hinter einem gepflegten Rasen, einem abgedeckten Swimmingpool und Gruppen schwarzer Kirschbäume stand ein gewaltiges, mit Zedernschindeln verkleidetes Haus – vollkommen dunkel und still.
Ich sah auf die Uhr. Es war nach eins.
»Vielleicht sind wir zu spät dran«, flüsterte ich.
Hopper sah mich kritisch an. »Ich glaub, du musst mal wieder ausgehen.«
Er trat vorsichtig an den Felsenbirnen vorbei auf den Gehweg und ging zum Haus hinüber. Ich folgte ihm, doch als wir noch gut zwanzig Meter von der hinteren Terrasse entfernt waren, öffnete sich ohne Vorwarnung eine Tür. Dichte, pochende Musik war zu hören. Ein fahles, weißes Licht fiel auf die Gehwegplatten.
Hopper und ich erstarrten und drückten uns ganz flach an die Hecke, die den Weg säumte.
Ein schlaksiger Typ mit einer schwarzen Barkeeperschürze trat aus der Tür. Er schleppte ein paar Müllsäcke hinter sich her.
Er schleifte
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