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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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der Gäste auf. Sie saßen auf Ledersofas und standen um Marmortische herum. Sie waren echt, da war ich mir sicher. Es waren Männer mittleren Alters, die meisten hatten die verlebten Gargoyle-Gesichter von Selfmade-Magnaten (einigen sah man an der schlaffen Haltung an, dass sie ihr Vermögen geerbt hatten), die meisten waren Weiße, ein paar Japaner waren auch dabei. Frauen trieben zwischen ihnen her, überfrachtet mit Abendkleidern und Juwelen. Durch den flüssigen Fußboden schienen sie im Wasser zu schweben. Sie verhakten sich an Gruppen von Männern wie Papierschnipsel an einem Ast, bevor sie durch den Raum in die nächste mysteriöse Strömung trudelten.
    Es gab sogar einen sehr strengen Dresscode – das hatte die Person, die auf den Blackboards auf meine Frage geantwortet hatte, vergessen zu erwähnen. Die Männer trugen Anzug und Krawatte. Hopper und ich würden in jedem Fall auffallen – ganz davon abgesehen, dass ich weiße Salzwasserränder an den Hosenbeinen hatte.
    Hopper stand hinter mir, und ich trat einen Schritt zur Seite, damit er etwas sehen konnte.
    »Lieber Gott«, flüsterte er.
    »Das muss eine Art Sekte sein. Wenn dir jemand Limo oder eine heiße Dusche anbietet, lehn ab. Und vergiss nicht, warum wir hier sind. Wir wollen jemanden finden, der Ashley gesehen hat.«
    Er wandte sich zu mir und reichte mir die Hand. »Wir sehen uns drüben.«
    Wir gaben uns die Hand, und ich trat aus dem Lagerraum hinaus.

50
    Eine schwarze Marmorbar nahm die gesamte hintere Wand ein. Ein paar Männer saßen an der Bar – nur hinten rechts war noch ein roter Hocker frei.
    Das war der perfekte Ort, um abzuwarten, bis ich verstand, mit
was
ich es zu tun hatte. Also ging ich lässig um das Atrium herum und an den Säulen vorbei –
die waren echt
 – darauf zu. Der sich bewegende Fußboden und die dazugehörenden Landschaften um mich herum lösten einen leichten Schwindel bei mir aus.
    Die Decke war so hoch wie die einer Kathedrale und der Himmel war so realistisch gemalt, dass er endlos aussah, grell blau. Beim Hinaufschauen wurde mir schwindlig, und ich stieß fast mit einem kleinen, fetten Mann mit schütterem, schwarzem Haar zusammen, der plötzlich meinen Weg kreuzte. Er vermied ausdrücklich jeden Blickkontakt und ging schnurstracks auf die Gartenmauer zu. Er drückte gegen eine mit Moos bewachsene Urne, die auf einer Säule stand, und sanft öffnete sich in der Wand eine Tür. Ich konnte einen flüchtigen Blick auf eine schwarzweiß gekachelte Toilette erhaschen, in der ein Mann in schwarzer Uniform mit gefalteten Händen neben den Waschbecken stand und diskret zu Boden sah, bevor alles erneut in diesem leeren Garten verschwand.
    Ich rutschte auf den Hocker am Ende der Bar und war erleichtert, dass er stabil und real war. Dann drehte ich mich um und sah mir das Treiben an.
    Kellner in schwarzen Hosen und asiatischen Kitteln balancierten Drinks auf Silbertabletts zwischen den Marmortischen hindurch. Oben in einem Glockenturm stand ein DJ . Er trug ein lila T-Shirt, Kopfhörer um den Hals und Dreadlocks, die ihm bis zur Hüfte reichten. Er sah relativ normal aus, hätte direkt aus Brooklyn oder der Bay Area kommen können, doch mir fiel auf, dass er seinen Blick nicht auf die Menge richtete, sondern sich nur darauf konzentrierte, einen Synthesizer und zwei MacBooks zu bedienen.
    Jemand muss ihm verboten haben, die Gäste anzusehen.
    Ich widmete mich wieder den Feiernden. Die Frauen waren umwerfend. Verschiedene Rassen waren vertreten, viele waren dunkelhäutig und exotisch, alle knapp über 1 , 80 Meter groß und so schlank, dass sie an ausschwärmende Insekten erinnerten, die sich unersättlich von den dunklen Anzügen und den kahl werdenden Köpfen ernährten. Sie sahen jung aus. Als eine sich umdrehte – ihr goldblondes Haar war so hell, dass es wie ein gleißend weißer Heiligenschein um ihr Gesicht schwebte – und lächelnd den Kopf in den Nacken legte, sah ich ihren hervorstehenden Adamsapfel.
    Oh Gott.
Sie
war ein
Mann
.
    Ich ignorierte meine irrationale Besorgnis und beobachtete eine andere Frau, die in einem blauen Paillettenkleid durch die Menge steuerte. Nachdem sie mit einer Gruppe von Männern gesprochen hatte, berührte sie –
oder er
 – einen von ihnen an der Schulter. Sie hatte lange, schwarz lackierte Fingernägel, ihre Arme waren mit Schmuck behängt. Ganz langsam, als sei es an diesem Ort verboten, sich abrupt zu bewegen, weil es den Traum zerstören könnte – hier waren

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