Die amerikanische Nacht
Privatclub dieses Namens, nichts, was die Behauptung von Special Agent Fox bestätigt hätte. Laut Wikipedia stammte das Wort vom französischen Verb
oublier
und bedeutete
vergessener Ort
. Geschichtlich gesehen war eine
Oubliette
der klaustrophobischste und am besten versteckte Ort eines Burgverlieses, der nur durch eine eiserne Falltür in der Decke zugänglich war und in den kein Licht drang – eine so winzige Zelle, dass der Gefangene sich oft nicht umdrehen oder auch nur bewegen konnte, ein Sarg für die lebendig Verdammten. Er war besonders verhassten Gefangenen vorbehalten, solchen, die man vergessen wollte.
Ich vermutete, dass es sich um eine Art Sexclub handelte. Es machte nicht den Eindruck, als könne man da eine richtig lustige Samstagnacht verbringen, doch Iona hatte gesagt, dass Ashley in diesen Club wollte. Deshalb war es den Versuch wert, jemanden zu finden, der ihr dort begegnet war.
Um acht Uhr an diesem kühlen und bewölkten Oktoberabend brachen Nora und ich in der Perry Street auf, um Hopper abzuholen. Er hatte doch noch auf unsere Nachrichten reagiert und wollte mitkommen, womit ich einverstanden war; mit dem
Klavierhaus
-Coup hatte er bewiesen, dass er ein unerwarteter Trumpf sein konnte.
Er sagte, wir sollten ihn an der Ecke Bowery und Stanton abholen. Dort warteten wir zwanzig Minuten lang, und gerade, als ich dachte, wir müssten ohne ihn aufbrechen – man fuhr drei Stunden nach Montauk, der östlichsten Stadt der Hamptons auf Long Island – kam Hopper aus dem Sunshine Hotel.
Es war ein berüchtigter Schuppen, eine der letzten echten Absteigen der Stadt, wo man eines der Zimmer – die eher wie Boxen für Maultiere aussahen – für 4 , 50 Dollar die Nacht bekommen konnte. Ich vermutete, Hopper hatte geschäftlich dort zu tun und
Bonbons
für ein paar echte
Schleckermäuler
abgeliefert, denn die Männer, die um den Eingang herumstanden, lächelten vor aufgeregter Dankbarkeit, als er an ihnen vorbeischlenderte.
»Wie läuft’s im Sunshine?«, fragte ich, als er sich auf den Rücksitz fallen ließ.
Ohne zu grüßen, holte er ein Bündel zerknitterter Geldscheine hervor, zählte sie und steckte sie in seine Manteltasche zurück.
»Toll«, murmelte er.
Minuten später fuhren wir auf dem Brooklyn-Queens Expressway. Nora berichtete Hopper atemlos, was wir bei
Enchantments
erfahren hatten, inklusive des Schwarzknochentodesfluch, in den wir – dank Ashley – getreten waren. Sie zeigte auf Hoppers Converse Turnschuhe – er hatte einen ziemlich großen Flecken an der filzbesetzten Ferse. Er reagierte bloß mit ungläubigem Zynismus.
»Was ist mit dem Tattoo Studio?«, fragte er. »
Rising Dragon
?«
»Da waren wir noch nicht«, sagte sie. »Als wir gesehen haben, dass jemand auf unsere Blackboards-Anfrage zum
Oubliette
geantwortet hat, sind wir direkt zurück in die Perry Street.«
Hopper sagte nichts. Er sah nur nachdenklich aus dem Fenster.
Drei Stunden später lag Hopper wie ohnmächtig auf der Rückbank, und Nora suchte nach einem Satellitenradiosender. Ich fuhr mit hundertdreißig Stundenkilometern auf der Route 27 . Der leere Highway sah aus wie ein grauer Riss durch die Salzmarschen und Brackwasserwiesen. Als ich noch verheiratet war, war ich oft hier gewesen, aber noch nie um fünf Minuten nach Mitternacht in einer solchen Mission.
»Ich will mitkommen«, sagte Nora.
»Das haben wir doch schon geklärt«, sagte ich.
»Aber Ashley war auch da. Ich kann locker als Junge durchgehen. Ich hab’ eine Hose mitgebracht, und eine Baseballkappe.«
»Das ist hier nicht ›Boys Don’t Cry‹. Und seit deiner Vorstellung in Briarwood weiß ich, dass du keine Hilary Swank bist.«
Einige Minuten später fuhren wir durch Montauk. Es war so dunkel und still, dass der Ort wie ein verlassener Jahrmarkt aussah. Die hell erleuchteten Gehsteige waren voll Sand und leerer Plastikflaschen, aber menschenleer. Die schindelverkleideten Strandhäuschen, die im Sommer so fröhlich wirkten, hockten jetzt gebeugt auf dem Hügel und wappneten sich dunkel und mürrisch für den Winter. Selbst von den Ortsansässigen war nichts zu sehen.
Ich bog rechts in die South Emery Street und dann links in die Emerson ab, fuhr an verdunkelten Läden und Lokalen vorbei, Ocean Resort, Born Free Motel, Schildern, auf denen BIS ZUM NÄCHSTEN JAHR stand, und dann: das Sea Haven Diner, mit dem neonblau leuchtenden 24 -Stunden-Schild im Fenster. Davor parkten ein paar Autos. Ich fuhr vorbei und bog in den
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