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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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jedem Fall Spaß machen. Anschließend würde ich sie zum Abendessen und einem Hot Fudge Sundae ins Serendipity  3 einladen.
    Ich fand Sam am Ende des Flurs in einem sonnendurchfluteten Studio, in dem laut Tschaikowski gespielt wurde. Sie tanzte in einem Schwarm von Fünfjährigen. Alle hielten die Arme über dem Kopf und hüpften. Sam sah aus, als sei sie bereit fürs Bolschoi: ein feuervogelroter Anzug, weiße Strumpfhose, Ballettschuhe und ein weißes Tutu. Sie stand ganz vorne und sah der Ballettlehrerin zu, die die Schritte vormachte.
    Ich klopfte an die Glastür.
    Die Kinder erstarrten. Die Lehrerin reckte ihren langen Hals und musterte mich herrisch.
    »
Ja
, Sir? Kann ich helfen?«
    Ich trat ein. »Ich möchte Samantha abholen.«

55
    Obwohl es bereits dunkel wurde, war der Washington Square Park voller Studenten und Skatern, verliebten Pärchen und einem Breakdancer mit einer Achtziger-Jahre-Boombox, um den sich eine Gruppe von Zuschauern scharrte. Die meisten Frauen stoppten mitten im Gespräch und starrten uns wie verzaubert an, als Sam an meiner Hand leichtfüßig an ihnen vorbeitrottete. Sie hatte sich zwar einverstanden erklärt, ihren schwarzen Mantel und den rosa Prinzessinnen-Rucksack anzuziehen, doch ihr Tutu, die Strumpfhose und die Ballettschuhe wollte sie nicht ausziehen.
    »Das ist eine ganz nette Frau«, sagte ich. »Wir reden nur ein paar Minuten mit ihr und sehen uns ihren Hund an. Okay?«
    Sam nickte und strich sich ihre goldenen Locken aus dem Gesicht.
    »Was ist mit deiner Hand?«, fragte sie.
    Seit ich über die Klippen aus dem
Oubliette
geflüchtet war, waren meine Hände ziemlich zerkratzt.
    »Keine Sorge. Dein Papa ist hart im Nehmen. Aber erzähl doch mal, was Mama so macht. Arbeitet sie noch in der Galerie?«
    Sam dachte nach. »Mama hat ein Problem mit Sue«, sagte sie.
    »Die Geschäftsführerin. Die sind immer aneinandergeraten. Was ist mit deinem Stiefpapa?«
    »Bruce«, stellte sie klar.
    Gut. Er war immer noch ein Eigenname.
Zum Glück hieß er nicht
Papa
.
    »Ja, Bruce. Hat die SEC Börsenaufsicht schon eingegriffen? Gab’s Verhaftungen wegen Insider-Handels, von denen ich wissen sollte?«
    Sie blinzelte mich an. »Bruce hat einen Rettungsring.«
    »Das hat Mama gesagt?«
    Sam nickte, sie hing schwer an meinem Arm. »Mama zwingt ihn, grünen Saft zu trinken, und Bruce muss
hungrig
ins Bett.«
    Also hatte der alte Herr Quincy ein paar Pfund zugelegt und musste jetzt eine von Cynthias berüchtigten Saftdiäten ertragen.
Ich fühlte mich mit einem Mal phantastisch.
    »Spricht Mama auch mal von mir?«
    Sam überlegte kurz und nickte dann energisch.
    »Ach ja? Was sagt sie denn so?«
    »Du brauchst dringend Hilfe.« Sie imitierte sogar Cynthias selbstgerechten Tonfall. »Und du bist entgleist und hast ein Teenager-Fittchen erzogen.«
    Entgleist. Mit einem Teenager-Flittchen zusammengezogen.
    Ich hätte nach dem Rettungsring nicht weiter fragen sollen.
    Ich bückte mich und nahm Sam auf den Arm, denn wir hatten den Hundeauslaufplatz erreicht, einen umzäunten Bereich am südlichen Ende des Parks. Der Platz war brechend voll mit herumtollenden Hunden und ihren stummen Haltern, die sich abseits hielten wie überehrgeizige Eltern. Sie sahen nervös zu und waren jederzeit bereit, ihre Leinen, Bälle, Kotschaufeln oder Leckerlis zum Einsatz zu bringen.
    »Okay, Süße. Wir suchen nach einem großen schwarzen Hund und einer Dame mit roten Haaren, Mitte dreißig. Wenn du sie siehst, behalt es für dich. Nicht zeigen. Nicht schreien. Bleib ganz cool. Okay?«
    Sam nickte.
    Auf einmal quiekte sie schrill und trat mich. Sie schnitt eine Grimasse und zeigte, aber nur mit dem kleinen Finger.
    »Siehst du sie?«
    Wieder nickte sie.
    Tatsächlich – in der hintersten Ecke des Platzes sah ich eine hagere Frau mit rotem Haar und einem alten schwarzen Labrador, der gebeugt neben ihr auf der Bank saß.
    »Herausragend beobachtet, Süße. Dich könnten sie beim Heimatschutz gut gebrauchen.«
    Ich sah mich kurz um, weil ich sichergehen wollte, dass uns niemand beobachtete oder folgte. Ich war auf der Hut, seit ich zurück in der Stadt war, für den Fall, dass Theo Cordova wieder auftauchen sollte. Doch bisher war mir nichts Außergewöhnliches aufgefallen.
    Ich öffnete das Tor und wir traten ein.

56
    Ich sah zu, wie Sam meine Anweisungen präzise und sicher ausführte.
Das Mädchen wäre eine Wahnsinns-Elitesoldatin.
Sie schaffte es sogar, das Ganze wie zufällig aussehen zu lassen. Erst hielt sie

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