Die amerikanische Nacht
sahen sie regungslos und voller Erwartung an, die Mäuler geschlossen und die Ohren gespitzt. Sie warf den Ball und lehnte sich zurück, während die Hunde wie wild über den Schotter davonrasten.
»Aber Sie …«, ermutigte ich sie leise.
Großer Gott, lass sie einfach reden. Und beruhig dich, verdammt nochmal.
»Als sie anfingen, ›Isolate 3 ‹ zu drehen«, sagte sie und sah mich an, »lud er meinen Freund ein, ihn und seine Familie zu Hause zu besuchen. In The Peak. So etwas tat er eigentlich nie. Zumindest hatte ich das gehört. Aber seine Frau organisierte ein Picknick. Das machten sie im Sommer ständig. Billy war eingeladen. Und ich durfte mitkommen.«
Er blieb gerne für sich.
Sie sprach von Cordova.
Und Billy – das musste William Bassfender sein, der Freund, den sie im
Sneak
-Interview erwähnt hatte. Er war der muskulöse, tätowierte Schotte, der den Strafgefangenen im Isolate spielte, Specimen 12 . Wenn ich mich richtig erinnerte, hatte er nach »Isolate 3 « in einem Stück am Londoner West End gespielt und sollte eine Rolle in Oliver Stones »Nixon« übernehmen, als er bei einem Autounfall in Deutschland ums Leben kam.
Ich wandte mich wieder den Hunden zu, damit sie nicht bemerkte, wie ich an ihren Lippen hing.
»Es war surreal. Zugegeben, jede Familie, die Zeit zusammen verbrachte, ohne sich anzuschreien oder sturzbesoffen zu sein, wäre mir surreal vorgekommen. Aber ich denke heute noch, dass es in dieser Familie mehr Liebe und Freude gab, als mir davor oder danach je begegnet ist.« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Sie hatten eine eigene Sprache.«
Ich sah sie an. »Was?«
»Cordovas Sohn Theo hat eine Sprache für die Familie erfunden. Die sprachen sie untereinander. Sie erzählten sich Witze und lachten, das machte sie noch einschüchternder. Ich kann mich an Astrids Erklärung erinnern, als wäre es gestern gewesen. ›Die Russen haben sechzehn Worte für Liebe. Unsere Sprache hat zwanzig.‹ Sie zeigte mir die ganzen Notizbücher, die Theo angelegt hatte. Er hatte ein eigenes Wörterbuch geschrieben, so dick wie die Bibel. Voll mit Grammatikregeln und Konjugationen unregelmäßiger Verben, die er sich ausgedacht hatte. Astrid hat mir ein paar der Wörter beigebracht. Ich habe sie nie vergessen. Eins war
terulya
. Das bedeutete tief tauchende Liebe, eine Liebe, die einen ausgräbt. Etwas, das man erlebt haben muss, bevor man stirbt, sonst hat man nicht gelebt. Ich war damals geschockt, dass ein Teenager sich solche Sachen ausgedacht hatte. Aber so waren sie alle. Sie haben das Leben mit sich selbst aufgesaugt. Keiner von ihnen war von irgendwas belastet. Es gab keine Beschränkungen.«
Sie verstummte, wehmütig, vielleicht sogar ein wenig neidisch auf die Familie, die sie beschrieb. Sie verschränkte die Arme und blickte wieder finster auf die Hunde.
»Ein
Picknick
«, wiederholte ich, um sie zum Weiterreden zu animieren.
»Es war ein schöner Tag. Wenn man das Grundstück erreicht hatte, ging es eine lange Einfahrt durch den Wald hinauf. An deren Ende ragte dann das Haus in den Himmel, ein gewaltiges Herrenhaus, das den Hügel beherrschte wie ein Schloss aus einem Märchen. Es war menschenleer. Billy und ich klopften an die Tür und gingen ums Haus herum und durch den Garten. Es war niemand zu sehen. Nach zwanzig Minuten öffnete sich schließlich die massive Eingangstür und ein Japaner stand vor uns. Er war gerade aufgewacht und sprach kein Englisch. Er trug einen grünen Seidenpyjama und ein Schwert um die Hüfte. Er kam heraus, rieb sich gähnend die Augen, sagte etwas auf Japanisch und gab uns zu verstehen, dass wir ihm folgen sollten. Er brachte uns runter zum See. Da waren alle. Eine Gruppe saß auf weißen Decken unter weißen Sonnenschirmen. Alle waren da, bis auf Cordova. Er arbeitete. Zumindest erzählte man uns das.«
Sie atmete tief durch. »Es war, als würde man ein Gemälde betreten. Eine Traumsequenz. Filmstars waren da, Jack Nicholson und Dennis Hopper, und James Spader, aber sie fielen gar nicht als große Stars auf. Da waren Astronauten, die über das Weltall sprachen. Ein ehemaliger CIA -Agent, der als Selbstversorger lebte und in seiner Brieftasche den
New York Times
-Artikel über seinen eigenen Tod aufbewahrte. Ein berühmter Dramatiker. Ein Priester aus der Gegend, der fünfzehn Jahre lang um die Welt gewandert und dann zurückgekehrt war. Cordovas Sohn Theo war auch da. Er war sechzehn und
umwerfend
. Er fotografierte alles mit einer alten
Weitere Kostenlose Bücher