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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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stören, wie der Flitzer von 1974 , Robert Opel, der nackt über die Bühne rannte, als David Niven gerade Elizabeth Taylor ansagen wollte – oder so wie Marlon Brando, der 1973 Sacheen Littlefeather vorschickte, um Brandos Oscar als bester Hauptdarsteller für »Der Pate« im Namen der ausgebeuteten amerikanischen Ureinwohner entgegenzunehmen. Unbeholfen nahm Inez Gallo den Oscar von Spielberg in Empfang und sagte in das Mikrophon, das ungefähr sechzig Zentimeter zu hoch für sie war: »Ich fordere alle, die zusehen, auf, aus ihren verschlossenen Räumen auszubrechen, den realen oder den eingebildeten.«
    Dann lief sie von der Bühne und der Sender spielte eine Werbung ein.
    Wir sahen uns die Rede einige Male an, dann meldeten wir uns bei den Blackboards an. Die meisten Beiträge zu Inez Gallo beschäftigten sich mit Gerüchten über das Wesen ihrer Beziehung zu Cordova, dass sie seine Schwester sei, seine Puppenspielerin und Svengali, seine weibliche Doppelgängerin, eine Frau, die sich besessen um alles kümmerte und sämtliche Bedürfnisse und Wünsche Cordovas möglich machte, eine Haushälterin, die immer hinter ihm aufräumte.
    Wir durchkämmten ein Gerücht nach dem anderen, bis Nora die Augen zufielen und sie schlafen ging. Ich blieb noch ein paar Stunden auf und las.
    Vielleicht lag es nur daran, dass ich mich so erschrocken hatte, ihr gegenüberzustehen, doch es war etwas unerklärlich Groteskes an Gallos breitem, kantigem Gesicht, den harten Zügen und der verbitterten Stimme.
    Vielleicht lag der Schlüssel zu all dem auch in dem, was Cleo bei
Enchantments
gesagt hatte.
Schwarze Magie wird von Generation zu Generation weitergegeben.
    Ich suchte auf den Blackboards nach den Begriffen
Hexerei
und
Inez Gallo
und nach einem weiteren Hinweis auf das Rad, das sie und Cordova auf der linken Hand tätowiert hatten. Doch außer dem Vermerk, dass sie aus Puebla in Mexiko stammte und dass ihre selbstlose Hingabe an den Regisseur bereits legendär sei (»Es gibt nichts, was Gallo nicht tun würde, um ihn zu beschützen«, behauptete jemand), fand ich nichts.

70
    »Woodward?«
    Ich öffnete ein Auge einen Spalt breit. Die Uhr zeigte 04 : 21 an.
    »Schläfst du?«
    »Ja.«
    »Kannst du reden?«
    »Klar.«
    Nora öffnete die Tür und huschte durch die Dunkelheit. Sie trug wieder dieses gespenstische Nachthemd, ein blasser Fleck setzte sich ans Ende meines Bettes.
    »Was ist los?«, fragte ich und stopfte mir ein Kissen in den Rücken.
    Sie sagte nichts. Sie schien nervös zu sein. Sie hatte eine Art, erst ganz gesprächig zu sein und dann plötzlich zu verstummen, so dass man ihr Gesicht wie den unbarmherzig blauen Himmel über der Wüste nach einem Zeichen von Leben absuchen musste, egal wie weit entfernt es sein mochte, ein Falke, irgendein Insekt.
    »Du musst mir schon etwas mehr Futter geben«, sagte ich nach einem Augenblick. »Ich bin ein
Mann
. Wenn’s darum geht, zwischen den Zeilen zu lesen, bin ich Analphabet.«
    »Gut …« Sie seufzte, als wäre dies das Ende des Gespräches, und nicht der Anfang. Das bedeutete, schließlich war sie eine Frau, dass sie die Diskussion schon zigmal in ihrem Kopf geführt hatte.
    »Geht es um Hopper?«, fragte ich. »Machst du dir Sorgen, weil er die Nacht im Gefängnis verbringen muss? Der macht das schon.«
    Das Bett ruckelte.
    »Hast du genickt? Hier ist es zu dunkel, um etwas zu erkennen.«
    »Es hat
nichts
mit ihm zu tun. Ich hab ein schlechtes Gewissen wegen etwas, das ich gesagt habe.«
    »Was?«
    »Dass ich nicht mit dir schlafen würde.«
    »Da gibt’s nichts klarzustellen. Versteht sich von selbst. Ist auch nicht so, dass ich das noch nie gehört hätte.« Ich hatte keine Ahnung, worauf Bernstein hinaus wollte, aber es fühlte sich nicht richtig an. Das Mädchen musste unbedingt raus aus meinem Zimmer und zurück in ihr Bett,
auf der Stelle
. Investigative Arbeit plus Sex war eine genauso geniale Idee wie Fords Markteinführung des Pinto – es sollte Spaß machen, sexy und praktisch sein, doch stellte es sich bald als Albtraum heraus, der schwere Verletzungen für alle Beteiligten mit sich brachte.
    »Du bist
attraktiv
«, sagte Nora. »Wenn du in Terra Hermosa wärst, würden die Damen für dich
sterben

    »Tun sie das nicht sowieso?«
    »Ich wollte bloß keine professionellen Grenzen übertreten.«
    »Das war auch richtig so. Ich kann dir gar nicht sagen, mit wie vielen Frauen ich alle möglichen Grenzen übertreten und mich anschließend schrecklich

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