Die amerikanische Nacht
verblasst und wellig vom Regen.
Die steckten da seit Monaten.
»Wahrscheinlich gehört es einem stinkreichen Europäer«, sagte ich, als ich wieder bei Hopper und Nora stand. »Der nutzt es zweimal im Jahr.«
»Es gibt nur einen Weg, das rauszukriegen«, sagte Hopper. Er zog noch einmal an der Zigarette, warf sie auf den Boden und ging, den Kragen seines Mantels hochstellend, zur anderen Straßenseite.
»Was hat er vor?«, flüsterte Nora.
Hopper ging zum Stadthaus, packte das schwarze Eisengitter über dem Bogenfenster im Erdgeschoss, und begann hinaufzuklettern. Sekunden später war er vier Meter über dem Boden. Er wartete kurz, um nach unten zu sehen, und trat dann auf eine der alten Laternen, die rechts und links von der Eingangstür angebracht waren, überbrückte auf diese Weise eine anderthalb Meter breite Lücke und bekam den Sims des Balkons im ersten Stock zu fassen.
Er zog sich langsam immer höher und baumelte einige Sekunden in der Luft, wobei sein grauer Mantel wie ein Umhang um ihn flatterte. Dann brachte er sein rechtes Bein über das Geländer und ließ sich seitlich auf den Balkon fallen. Sofort war er wieder auf den Beinen, sah noch einmal verstohlen auf den Gehsteig hinab und schlich sich zum Fenster ganz rechts. Er ging in die Hocke, um durch die Scheibe zu sehen. Dann wühlte er in seiner Tasche, offenbar nach seinem Portemonnaie. Er knackte den Fensterrahmen, vermutlich mit einer Kreditkarte, schob das Fenster auf und kletterte
ohne jedes Zögern
hinein.
Einen Augenblick lang war es still. Dann war er als Silhouette wieder zu sehen, er drückte das Fenster zu und verschwand.
Ich war wie gelähmt. Ich rechnete jeden Augenblick mit dem markerschütternden Aufschrei eines Mädchens oder mit dem Heulen von Sirenen. Doch die Straße blieb ganz still.
»Was zur Hölle«, flüsterte Nora, die eine Hand an die Brust gedrückt hielt. »Was machen wir jetzt?«
»Nichts. Wir warten.«
Wie sich herausstellte, brauchten wir nicht lange zu warten.
Hopper war noch keine zehn Minuten im Haus, als ein Taxi auf uns zugerollt kam, langsamer wurde und
genau
vor dem Stadthaus anhielt. Das Licht des Taxis leuchtete auf.
»Oh nein«, flüsterte Nora.
Die hintere Tür ging auf und eine stämmige Frau stieg aus.
»Schick Hopper eine SMS «, sagte ich. »Sag ihm, er soll sofort abhauen.«
Während Nora ihr Telefon herausholte, sprang ich zwischen den parkenden Autos hindurch und lief auf die Frau zu, die bereits die Stufen zum Haus hinaufging und in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel wühlte.
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»Entschuldigung?«
Sie drehte sich nicht um. Sie stopfte den Schlüssel ins Schloss und schob eine der Türen auf.
»
Ma’am
, ich suche die nächste U-Bahn-Station.«
Sie trat eilig ins Haus und schaltete das Licht an. Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf eine weiße Eingangshalle mit schwarzweißem Schachbrett-Fußboden. Als sie herumwirbelte, sah ich
die Frau selbst
, bevor sie die Tür ins Schloss knallte.
Ein Riegel wurde vorgeschoben, dann hörte ich das siebenstellige Piepen der Alarmanlage.
Ich war vor Schreck erstarrt.
Ich kannte sie.
Plötzlich wurden die Lampen neben dem Eingang angeschaltet und tauchten mich in helles Licht.
Sie wollte mich durch die Überwachungskamera genauer ansehen.
Ich ging die Stufen hinauf und klingelte.
Keine Reaktion.
Ich klingelte noch einmal, dann ein drittes Mal. Ich erwartete gar nicht, dass sie die Tür öffnen würde – ich wollte Hopper warnen. Er würde es als Signal verstehen, das Haus sofort zu verlassen. Ich rannte eilig die Treppen hinab und bog in Richtung Park Avenue ab. An der Ecke überquerte ich die Straße und fand Nora dort, wo ich sie verlassen hatte.
»Er ist immer noch da drin«, flüsterte sie. »Ich habe ihm eine SMS geschickt, aber er hat nicht geantwortet …«
»Du glaubst es nicht. Das war
Inez Gallo
. Cordovas langjährige Assistentin. Das Haus muss den Cordovas gehören.«
Es war unglaublich – Hopper war nicht bloß in ein Privathaus Cordovas eingebrochen, sondern war jetzt sogar darin gefangen.
Nora drehte sich verblüfft zum Stadthaus um, wo ein helles Licht gerade den ersten Stock erleuchtet hatte und eine dunkle holzvertäfelte Bibliothek zum Vorschein kam, die Regale voller Bücher.
»Jetzt gibt es keinen Weg mehr nach draußen«, flüsterte Nora. »Sollen wir einen Notruf absetzen?«
»Noch nicht.«
»Aber wir müssen was tun. Sie könnte ihn
erschießen
…«
»Wir müssen ihm Zeit lassen, sich
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