Die amerikanische Nacht
von Rauschgift?«
»Marihuana und Ecstasy. Er hat zwei Monate abgesessen und hundert Sozialstunden geleistet.«
Ich sagte Blumenstein, dass ich die Kaution übernehmen würde, und legte auf. Dann gab ich die Information schnell an Nora weiter, während wir uns für das Treffen mit Olivia Endicott auf den Weg machten. Ich hatte Nora am Morgen ein Omelett gemacht, doch sie hatte sofort mit rotem Gesicht gesagt, dass sie keinen Hunger hatte. Ich verbuchte das unter dieser bizarren Blackbox weiblichen Verhaltens, die sich jeder Erklärung entzog, bis mir klarwurde – ich ärgerte mich über meine Dummheit –, dass es mit dem zusammenhing, was sie mir in der Nacht erzählt hatte. Sie wollte nicht, dass ich sie mit Samthandschuhen anfasste, wollte nicht wie etwas Zerbrechliches mit einem Sprung behandelt werden. Also schmiss ich rabiat das Omelett weg und ließ sie wissen, dass Moe Gulazars schwarze Pailletten-Leggings und die Bluse von Captain Sparrow für ein Treffen mit einem der elegantesten Schwäne New Yorks unangebracht waren. Ich wies sie an, sich umzuziehen, was ein erleichtertes Lächeln bei ihr auslöste, als sie die Treppe hinauflief. Minuten später waren wir aus der Tür und eilten die Perry Street entlang.
Es war ein grauer Tag, der Himmel sah nach Regen aus. Wir liefen zur Subway, weil wir spät dran waren. Wenn ich eines über die wirklich Reichen von New York wusste, dann, dass sie einen gerne warten ließen, aber nicht anders herum.
72
»Mr McGrath.
Herzlich willkommen.
«
Die Frau, die uns an der Tür des Apartments 17 D begrüßte, war Mitte fünfzig und trug einen staubgrauen Anzug. Sie hatte das heruntergedimmte Gesicht eines Menschen, der sein Leben in Knechtschaft verbracht hatte. Ihr Blick richtete sich fragend auf Nora.
»Das ist meine Assistentin. Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass sie dabei ist.«
»Sicherlich.«
Lächelnd geleitete uns die Frau in die Diele, wo ein alter Knacker in einem burgunderroten Jackett erschien – scheinbar aus den Wänden –, um uns die Mäntel abzunehmen. Ohne ein Wort verschwand er mit ihnen in einem anderen schwach beleuchteten Gang.
»Bitte hier entlang.«
Sie führte uns in die entgegengesetzte Richtung durch eine dunkle Galerie. Die weinfarbenen Wände waren mit Gemälden gepflastert wie ein Baugerüst mit Werbeplakaten für Konzerte: Nur hingen hier Bilder von Matisse und Schiele, Clemente, eines von Magritte, und jedes Gemälde war mit einer eigenen Bronzelampe ausgestattet, ähnlich wie ein Grubenhelm. Zwischen den Meisterwerken befanden sich dunkle Durchgänge, und ich ging langsamer, um hineinzusehen. Jeder der Räume sah aus wie eine Grotte, feucht und mit Stalaktiten in Form von Brokatvorhängen und Louis XIV -Stühlen, Vasen und Tiffany-Lampen, Marmorbüsten, Ebenholzschnitzereien, Büchern. Wir kamen an einem repräsentativen Esszimmer vorbei, mit selleriegrünen Wänden und einem Kristallleuchter, der wie eine gefrorene Qualle in der Luft hing.
Die Frau brachte uns zügig in einen großen Salon. Die Fenster boten einen Ausblick nach Nordwesten und verwandelten die Stadt in ein heiteres Stillleben aus Beton und grauem Himmel. Ein Helikopter schwebte wie eine verirrte Fliege über dem Hudson River.
Die Frau gab uns ein Zeichen, uns auf die gelbe Chintzcouch zu setzen, vor der ein mit Miniaturen beladener Couchtisch stand: Schnauzer und Schäfer aus Porzellan, und Fingerschalen. Frische gelbe und rote Tulpen explodierten aus einer chinesischen Vase. Sie passten genau zum Gelb der Wände und zu den roten Jacken der Reiter in dem riesigen Ölgemälde einer Fuchsjagd, das sich hinter uns auftürmte.
Nora setzte sich steif neben mich und faltete die Hände im Schoß. Sie sah nervös aus.
»Darf ich Ihnen Tee anbieten, während Sie warten? Mrs du Pont beendet noch ein Telefonat.«
»Tee wäre nett«, sagte ich. »Vielen Dank.«
Die Frau huschte aus dem Raum.
»Das hier nennt man superreich«, flüsterte ich Nora zu. »Diese Leute sind eine ganz eigene, fremde Spezies. Versuch nicht, sie zu verstehen.«
»Hast du die polierte Rüstung gesehen? Da stand eine echte glänzende Rüstung – die wartet nur auf einen Ritter.«
»Die zwei reichsten Prozent der Weltbevölkerung besitzen mehr als die Hälfte des Weltvermögens.
Ich
glaube, das ist alles in dieser Wohnung.«
Nora biss sich auf die Lippe und zeigte auf einen kleinen Beistelltisch rechts von mir, auf dem ein Schwarzweißfoto in einem alten Silberrahmen stand. Es zeigte
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