Die amerikanische Nacht
»Waren Sie mal da?«
»Ich habe vor fünf Jahren versucht, vorbeizuschauen und meine Aufwartung zu machen. Bin nicht am Tor vorbeigekommen.«
Olivia lächelte wissend und lehnte sich auf dem Sofa zurück. »Ich bin in der ersten Juniwoche 1977 dort gewesen. Ich war damals eine erfolglose Schauspielerin. Neunundzwanzig Jahre alt. Cordova bereitete gerade seinen neuen Film vor, ›Daumenschraube‹. Seine Assistentin, Inez Gallo, schrieb an meinen Agenten, dass Cordova mich in ›Massaker am Valentinstag‹ gesehen hatte und von meiner Leistung sehr beeindruckt gewesen war.« Sie lächelte sichtlich verlegen.
»Ich hatte darin eine recht jämmerliche Statistenrolle und stand die ganze Zeit mit dem Rücken zur Kamera. Ich hielt die Anfrage deshalb für einen grausamen Witz. Doch die Assistentin beharrte darauf, dass er liebte, wie ich aussah, und mich für eine sehr ungewöhnliche Rolle in Betracht zog, die er
speziell für mich
geschrieben hatte. Er lud mich ein, ein Wochenende in The Peak zu verbringen, damit wir über die Rolle sprechen konnten. Ich wohnte damals im East Village. Ich lieh mir von einer Freundin Geld, um einen Packard-Kombi zu mieten und fuhr den gesamten Weg ganz allein. Ich hatte seit über einem Jahr keinen Job mehr gehabt. Ich war verzweifelt. Während der Fahrt habe ich einen Pakt mit mir selbst geschlossen, dass ich alles –
absolut alles
– tun würde, um diese Rolle zu bekommen.«
Sie hielt einen Augenblick inne und streichelte träge einen der Hunde.
»Die Fahrt zum Haus war sehr schön. Sobald man den Wald und das Tor hinter sich gelassen hatte, ging es ganz gemütlich an Eichen und sanften Hügeln vorbei. Es war keine Menschenseele zu sehen. Es war ein schöner Tag,
heiß
. Die Sonne schien, und trotzdem erinnere ich mich, wie nervös ich war. Die Nervosität schlug bald in Angst um, als würde ich mitten in der Nacht einen Friedhof betreten. Ab und an hörte ich einen Vogelschwarm,
Krähen
, die über mir krächzten. Aber wenn ich langsamer fuhr und nach oben sah, war da nichts außer dem Himmel oder den Bäumen.
Nichts
.«
Sie nippte an ihrem Tee.
»Dann kam ich beim Haus an, einem dunklen, riesigen Schloss wie aus, keine Ahnung – einer Kurzgeschichte von Poe –, und ich parkte bei den anderen Autos. Es waren recht viele da, als hätte man auch noch andere Schauspielerinnen eingeladen. Ich stellte fest, dass ich nicht in der Lage war auszusteigen. Es war ein schreckliches Gefühl. Aber ich wollte diese Rolle. Ich
brauchte
sie. In einem Cordova-Film mitzuspielen war das Ultimative. Ich hatte gehört, dass es nicht nur die Karriere verändern konnte, sondern das ganze Leben.«
Sie lächelte voller Ironie über diese letzte Bemerkung.
»Ich stieg aus, klopfte an der Eingangstür und wurde sofort von einer umwerfenden Italienerin begrüßt, die sich seltsam reserviert verhielt. Ohne einen Ton zu sagen, brachte sie mich zu einem Mittagessen, das draußen auf einer mit Glyzinien bewachsenen Loggia bereits im Gange war. Eine große Gruppe von Menschen saß dort – niemand, den ich kannte. Ich stellte mir vor, dass es Cordovas Groupies sein mussten. Doch der Mann selbst war nicht zu sehen. Nicht, dass ich genau vor Augen gehabt hätte, wie er aussah. Ich fragte jemanden, wo er war, und wurde gelangweilt darüber informiert, dass er arbeitete. Sie holten einen Stuhl herbei, damit ich mich mit an den Tisch setzen konnte. Alle sprachen über einen Gegenstand, den jemand bei einer privaten Auktion erstanden hatte. Sie reichten den Gegenstand herum. Irgendwann kam er bei mir an. Aus irgendeinem Grund waren alle ganz still, als ich ihn hatte. Sie fragten, für was ich es hielt. Es war merkwürdig. Es sah aus wie eine Art Dolch. Der Bronzegriff war sehr aufwendig modelliert, die Klinge ganz schmal, ungefähr dreizehn Zentimeter lang, mit einer seltsamen Öse in der Mitte. Ein junger blonder Mann in Priesterkleidung, der ganz am Ende des Tisches saß – er war schön, ein richtiger Adonis –, schlug vor, dass ich ihn mir ins Handgelenk bohren sollte, um zu sehen, was passiert. Alle brachen in Gelächter aus. Die Einzige, die nicht lachte, war diese wunderschöne Italienerin, die mir die Tür aufgemacht hatte. Ich erfuhr, dass sie Cordovas Frau war, Genevra. Sie starrte mich nur mit einem gequälten Blick an, wie eine Gefangene, die zu viel Angst hatte, um zu reden. Ich war für einen Augenblick so aufgewühlt und verärgert, dass ich dachte, ich würde in Tränen ausbrechen.
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