Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
Vom Netzwerk:
»Daumenschraube«, die Szene, in der Emily Jackson den mysteriösen Aktenkoffer ihres Mannes betrachtet; ein Foto von Beckman, der wie ein vergnügter Buddha im Schneidersitz auf den Treppen der Columbia Low-Bibliothek thront, um ihn herum fünfzig ihn verehrende Studenten.
    Rechts vom Kaminsims hing ein gerahmtes Plakat der Nahaufnahme eines Auges aus Cordovas »Figuren in Licht getaucht«. Das Plakat hing dort, seit ich Beckman kannte. Er hatte es von einer Wand in der Métrostation Pigalle abgerissen, nachdem er bei einer verbotenen Vorführung von »In der Nacht sind alle Vögel schwarz« gewesen war, die 1987 in den Katakomben von Paris stattfand, einer der ersten Veranstaltungen dieser Art. An den unteren Rand hatte jemand den vereinbarten Treffpunkt gekritzelt:
Souverän Tödlich Perfekt 48 ° 48 ’ 21 , 8594 “ N, 2 ° 18 ’ 33 , 3888 “ O 1111870300 .
    Einen Meter rechts von mir stand in der Ecke ein Holztisch mit Beckmans altem Apple-Computer. Er
summte
, was bedeutete, dass er tatsächlich
eingeschaltet
war.
    »Ihr Tee.«
    Die Haushälterin war plötzlich hinter mir aufgetaucht. Sie ließ das Tablett auf den Couchtisch gleiten und starrte mich böse an, während sie eine schwarze chinesische Holzkiste und einen Stapel Zeitungen zur Seite schob und zurück in die Küche stakste.
    Ich wartete, bis sie wieder zu putzen begonnen hatte, und tippte auf die Tastatur. Ich startete Firefox und klickte auf »Gesamte Chronik anzeigen«.
    Mundchirurgie Komplikationen – Google-Suche
    Zähneziehen was kann schiefgehen – Google-Suche
    Nebenwirkungen Betäubungsmittel Zahnarzt – Google-Suche
    The New Republic
online
    The New York Post
    RussischeSeelenverwandte.ru
    Russische Redewendungen – Google-Suche
    Ashley Cordova – Google-Suche
    Ashley Cordova, 24 , tot aufgefunden –
nytimes.com
    Der nächste Eintrag lautete einfach nur:
blackboards.onion.
    Ich klickte den Link an. Es dauerte einen Augenblick, bis die Seite geladen war. Auf der Startseite war ein nebliger Wald zu sehen, den ich als Eröffnungsszene von Cordovas »Warte hier auf mich« erkannte. Die URL war lang, doch in der Kette von Symbolen und Zeichen waren drei Schlüsselbegriffe verborgen:
souverän
tödlich perfekt.
    Das waren die »Blackboards«, die Deepnet Website für Cordova-Fans. Durch die massiven Zugangskontrollen kamen nur autorisierte Cordoviten. Die Seite hatte eine geheime URL bei
TOR
, dem anonymen Internet – deshalb tauchte es nicht bei Google auf und konnte von Standardbrowsern nicht gefunden werden. Als ich Beckman vor vielen Jahren zum ersten Mal traf, versuchte ich vergeblich, ihn dazu zu bringen, mir die Internetadresse zu geben. Er sagte, es sei »die letzte versteckte Ecke«, ein schwarzes Loch, in dem die Fans sich nicht nur über alles auslassen konnten, was mit Cordova zu tun hatte, sondern jeden ihrer dunklen Triebe und Träume zum Ausdruck bringen konnten, ohne dafür verurteilt zu werden.
    Ich hörte das Klimpern von Schlüsseln, dann knallte die Tür auf. Ein Mopp fiel scheppernd zu Boden;
Madame Tolstoi warnte Beckman, dass er einen Gast hatte.
    Ich holte mein BlackBerry hervor, machte schnell ein Foto von der URL , schloss den Browser und trat gerade rechtzeitig einen Schritt zurück zum Kaminsims, als ich Schritte über den Holzfußboden rennen hörte.
    »Schwanz-lutscher!«,
brüllte eine Stimme.
    Beckman erschien in der Tür. Er trug einen enggegürteten Trenchcoat, in dem er aussah wie eine Kartoffel in Packpapier.
    »Raus.«
    »Warte doch mal …«
    »Als wir uns das letzte Mal gesprochen haben, habe ich
klar zum Ausdruck gebracht
, dass du für mich gestorben bist.
Olga!
Ruf die Polizei. Sag ihnen, hier ist ein gewaltbereiter Einbrecher.«
    »Ich will die Sache in Ordnung bringen.«
    »Man kann keine Freundschaft
in Ordnung bringen
, die in tausend Stücke gesprengt wurde.«
    »Das ist lächerlich.«
    Er starrte mich wütend an. »Verrat ist nicht lächerlich. Er ist der Grund für den Niedergang ganzer Imperien.« Er löste den Gürtel seines Trenchcoats, warf ihn über den Stuhl – eine theatralische Geste, die an einen spanischen Matador erinnerte, der sein rotes Tuch wegwarf – und schritt auf mich zu. Zum Glück fiel ihm der Computer nicht auf, dessen Bildschirm die Ecke erhellte.
    So wütend er auch war, Beckman war nicht in der Lage, körperlich einschüchternd zu wirken. Er trug graue Anzughosen, die ihm zu kurz waren, und eine goldene Nickelbrille, hinter der seine kleinen,

Weitere Kostenlose Bücher