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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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schmunzelnd seinen Wodka hinunter und knallte das Glas auf den Tisch. »Ich habe vor Jahren aufgehört, mich da einzuloggen. Dafür bin ich zu alt. Und mental zu schwach für so viel Theatralik.«
    Dieser erfundene Einwand war genau, was ich von Beckman erwartete. Ihn zu befragen war immer ein Regentanz ums Lagerfeuer. Man brauchte dafür Einfühlungsvermögen und drei oder vier Flaschen von
diesem
Wodka, der stärker als Opium und eindeutig in einer sibirischen Badewanne entstanden war.
    »Wo, glaubst du, ist Cordova jetzt?«, fragte ich ihn.
    Er zog eine Augenbraue hoch. »Sag nicht, du sitzt wieder in deinem kleinen Motorboot und fährst allein den Amazonas hoch. Geht’s diesmal um Rache, weil du dir seinetwegen die Karriere ruiniert hast, oder quält dich die Neugier?«
    »Von beidem ein bisschen. Ich will die Wahrheit.«
    »Aha. Die
Wahrheit
.« Beckmans Blick fiel auf die schwarze, sechskantige Kiste auf dem Couchtisch. Er wollte gerade etwas sagen, aber drehte sich stattdessen um und starrte direkt auf den Computer. Der Bildschirm leuchtete noch immer, und eine dieser verdammten Katzen – Einäugiger Pontiac oder wie auch immer sie hieß – rieb sich an einem der Schreibtischbeine.
    Beckman setzte sich beunruhigt auf. »
Olga!
«, brüllte er. »Bring doch mal einen Teller der spanischen Sardinen. Boris ist unterzuckert.« Er wandte sich wieder mir zu, seine Augen flackerten hinter seiner Brille. »Ich habe vor kurzem wirklich etwas gehört, das dir helfen könnte.
Peg Martin

    »Peg Martin?«
    »Sie hat eine kleine Rolle in den ersten zwanzig Minuten von ›Isolate  3 ‹ gespielt. Sie ist eine der Reinigungskräfte in der Anwaltskanzlei in Manhattan. Dieses schlacksige Mädchen mit den eingegipsten Armen. Krauses rotes Haar. Platte Nase. Sie geht die Treppe hinunter und kommt nicht wieder. Mitte der Neunziger hat sie dem
Sneak
Magazin ein Interview gegeben, in dem sie über Cordova gesprochen hat.«
    Ich erinnerte mich. Vor fünf Jahren hatte ich den Artikel im Rahmen meiner Recherche ausgegraben.
    »Eine meiner Studentinnen in diesem Semester hat einen Terrier. Sie geht mit ihm in die Hundeschule im Washington Square Park, sonntags um sechs. Sie hat mir erzählt, dass immer gegen Ende des einstündigen Unterrichts eine Frau mit drahtigem rotem Haar mit ihrem uralten schwarzen Labrador zur Hundewiese kommt. Sie setzen sich Schulter an Schulter auf eine Bank und sehen den anderen zu, wie sie kämpfen, herumtollen, spielen und lachen.« Beckman saß auf der äußersten Kante seines Sessels und übernahm die Rolle Peg Martins. »Sie spricht … mit niemandem. Sieht … niemanden an. Der Hund auch nicht. Naja. Meine Studentin sagt,
diese
Frau sei Peg Martin.«
    »Und?«
    »Geh mal hin. Rede mit ihr. Vielleicht weiß sie etwas über die Familie. Sie war fünfzehn Jahre lang Junkie, vielleicht schweigt sie nicht ganz so standhaft wie die anderen.« Er runzelte die Stirn. »Ich würde mir auch den
Rolling-Stone
-Artikel von 1977 ansehen. Ich habe gehört, dass da was Entscheidendes enthalten ist. Ich habe ihn durchgesehen, aber habe nichts gefunden. Vielleicht findest du etwas.«
    »Und Cordova? Wo ist der?«
    Beckman trank sein Glas aus. »Der versteckt sich wahrscheinlich. Ich kann mir vorstellen, dass er untröstlich ist. Das ist eine lustige Vorstellung, wenn man die Schrecken seiner Filme bedenkt. Aber ich hatte immer schon den Verdacht, dass das Dunkle nur da war, um das Licht sichtbar zu machen. Er hat das psychische Leid der Menschen gesehen und gehofft, dass seine Filme eine Zuflucht sein könnten. Seine Figuren sind versehrt und am Boden. Sie gehen durch die Hölle und kommen als verkohlte Tauben wieder heraus. Allein die Tatsache, dass die Menschen heute nicht dazulernen, dass sie schwach und kleingeistig sind, diesem Geschenk des Lebens gegenüber so gleichgültig, als wäre all das nur eine Pepsi Werbung – ich kann es ihm nicht verdenken, dass er untergetaucht ist. Hast du dir in letzter Zeit mal die Welt angesehen, McGrath? Die Grausamkeit, die Zusammenhanglosigkeit? Als Künstler muss man sich doch fragen, wofür das alles gut sein soll. Wir leben länger, sitzen allein vor unseren Bildschirmen und bewegen uns in sozialen Netzwerken, und unsere Gefühle flachen immer mehr ab. Bald sind sie bloß noch ein Gezeitentümpel, dann noch ein Fingerhut von Wasser, dann ein mikrofeiner Tropfen. Es heißt, dass wir in den nächsten zwanzig Jahren mit Computerchips verschmelzen werden, um das

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