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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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zurück ins Waldorf. Ich ging um die Ecke zu einem Geldautomaten und dann zurück ins
Starbucks
. Eine Stunde verging. Die Berufspendler, die vorhin wie eine Sturzflut gewirkt hatten, waren jetzt nur noch ein schmales Rinnsal von Frauen mit müden Gesichtern und Männern in zerknitterten Anzügen. Eine weitere halbe Stunde später war von Masato noch immer nichts zu sehen. Ich dachte schon, dass etwas passiert sei, als er plötzlich das Café betrat und einen dicken Umschlag aus seiner Tasche holte.
    Es waren mehr als zweitausend Namen, nach Datum und alphabetisch sortiert, inklusive der Anrufe, die über das Hoteltelefon getätigt worden waren. Ich überreichte ihm das Geld, das er ganz offen nachzählte. Offensichtlich war man in dieser
Starbucks
-Filiale zwielichtige Geschäfte gewohnt, denn die Angestellten hinter der Theke, die gesehen hatten, wie wir den ganzen Tag am Fenster herumgelungert waren, nahmen weiter gelangweilt Bestellungen entgegen.
    »Quad venti soy latte!«
    Masato steckte den Umschlag in seine Umhängetasche und ging, ohne sich zu verabschieden. Er setzte seine Kopfhörer auf und verschwand in der Subway-Station.
    Wir bestellten Kaffee, zogen uns an einen Tisch in der hinteren Ecke zurück, und begannen, die Namen zu durchkämmen und mit denen auf der
Oubliette
-Mitgliederliste abzugleichen.
    Nach einer Stunde, in der wir uns abwechselnd laut die Namen vorgelesen hatten, schnellte Nora plötzlich aufgeregt und mit aufgerissenen Augen auf ihrem Sitz nach vorne.
    »Wie schreibt man das? Den letzten Namen, den du vorgelesen hast?«
    »Villarde«, wiederholte Hopper. »V-I-L-L-A-R-D-E.«
    »Der ist hier«, flüsterte sie fassungslos und hielt uns das Blatt hin.
    Ich starrte den Namen auf der
Oubliette
-Liste an.
    Hugo Gregor Villarde  III .
    Villarde war am 1 . Oktober für eine Nacht in Zimmer 3010 abgestiegen. Er hatte das Telefon nicht benutzt. Seine Privatadresse war in Spanish Harlem.
    175 East 104 th Street.
    Ich googelte auf dem BlackBerry nach seinem Namen.
    Nicht
ein einziger
Treffer.
    »Das ist das erschreckendste Ergebnis von allen«, sagte Nora.
    »Versuch mal, die Adresse zu googeln«, sagte Hopper.
    Das führte mich zu einem Firmeneintrag, für einen Laden namens
The Broken Door
. Er hatte keine Website, nur einen Minimaleintrag bei Yelp.com. Dort wurde er als Geschäft für »anspruchsvolle Kenner ausgefallener Antiquitäten« beschrieben.
    »Geöffnet donnerstags und freitags, von vier bis sechs«, las Nora über meine Schulter hinweg. »Komische Öffnungszeiten.«
    »Wir gehen da morgen hin, sobald sie öffnen«, sagte ich.
    Beim Anblick dieses einen Namens auf beiden Blättern überkam mich zugleich Freude und Erleichterung. Endlich eine echte Chance – ein winziger Riss, in den ich meine Finger zwängen konnte, um das Ganze aufzubrechen:
der Mann, nach dem Ashley gesucht hatte, in den Tagen vor ihrem Tod.

84
    »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, erklärte Harold, als er auf dem Treppenabsatz im zehnten Stock anhielt, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Dann kam er hinter uns die letzte Treppe herauf. »Ihr Dealer war um acht da, also ist sie jetzt im Schlaraffenland.«
    »Bleibt sie die ganze Nacht ausgeknockt?«, fragte Nora ihn.
    »Wenn Sie leise sind. Vor ein paar Monaten haben wir einen Handwerker hochgeschickt, um was zu reparieren. Sie setzte sich plötzlich im Bett auf und sprach mit ihm, als sei er ihr Ex-Mann. Warf ihm vor, herumzuvögeln. Dabei wollte er nur ein Heizungsventil austauschen. Aber sie ist gebrechlich und braucht einen Rollstuhl, um sich überhaupt fortbewegen zu können. Also, keine Angst, dass sie Sie angreift.«
    Ich versuchte zu erkennen, ob das ein Witz sein sollte, doch er stemmte sich nur schwer schnaufend die letzte Stufe zur elften Etage zu uns hinauf. Er wühlte in seinen Hosentaschen nach dem Schlüssel und trat auf eine von zwei weißen Türen mit der Aufschrift 1102 zu.
    »Wenn Sie mich wegen eines Notfalls brauchen sollten, in der Küche gibt es eine Sprechanlage.«
    »Was für ein Notfall?«, fragte ich.
    »Seien Sie einfach vorsichtig. Versuchen Sie, nichts anzufassen. Sie hasst es, wenn ihre Sachen nicht an ihrem Platz sind.« Er drehte den Türknauf und öffnete sanft die Tür, doch sie war von innen mit einer Kette gesichert.
    »Sie scheint heute besonders paranoid zu sein«, murmelte er, schob seine Hand hindurch und löste flink die Kette. »Schließen Sie die Tür von innen ab, wenn Sie gehen.« Er machte sich

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