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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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Trüben, McGrath. Vor dem finsteren Unerklärten. In der Geschichte dieser Familie sind grauenhafte Dinge passiert. Da bin ich mir sicher. Souverän. Tödlich. Perfekt.
    Das einzige Geräusch war der Regen, der wie ein erschöpftes Orchester auf den Fenstern spielte. Erst als ich langsam einschlief, ließ der Sturm ein paar zarte Noten einfließen – der Beginn eines neuen Liedes –, dann löste er sich abrupt auf.

81
    »Das ist er«, sagte ich.
    Ich ließ Nora und Hopper auf der Leitplanke am Ende der East 52 nd Street sitzen – direkt vor The Campanile, einem eleganten Kalkstein-Apartmentgebäude mit Blick auf den East River – und ging schnell über den Gehsteig auf einen herannahenden Mann in einer grauen Portiersuniform zu.
    Er war sehr klein und sehr kahlköpfig und hielt einen Kaffeebecher in der Hand. Er hüpfte beim Gehen wie ein kleiner Junge. Er hätte ein Cousin von Danny DeVito sein können.
    Ich holte ihn unter einer grauen Markise ein. »Sie müssen Harold sein.«
    Er lächelte gutgelaunt. »Der bin ich.«
    Ich stellte mich vor. Er wusste sofort, wer ich war, und nickte. »Ah,
genau
. Der große Journalist. Mrs du Pont hat gesagt, dass Sie kommen würden. Also, äh, Sie …« Er hob das Kinn, um über meine Schulter zu sehen, und senkte die Stimme. »Sie wollen hoch zu Marlowe.«
    »Olivia sagte, Sie könnten es arrangieren, dass ich mit ihr rede.«
    Er schmunzelte. »Man
redet
nicht mit Marlowe.«
    »Was denn dann?«
    »Was man mit jedem Männer verschlingenden Ungeheuer tut. Man geht auf Zehenspitzen und betet, dass sie nicht hungrig ist.« Er lachte wieder, aber wurde ernst, als er meine Verwirrung bemerkte. »Kommen Sie heute Abend wieder. Punkt elf Uhr. Ich bringe Sie rauf. Aber dann, äh, sind Sie auf sich allein gestellt.«
    »Was soll das denn bedeuten?«
    »Ich hab’ es mir zur Regel gemacht, nicht weiter als bis zum Wäscheraum zu gehen.«
    »Ich will mit Marlowe
sprechen
. Nicht in ihre Wohnung einbrechen.«
    »Ja, aber
genau so
spricht man mit Marlowe. So besucht Mrs  du Pont sie. Mrs du Pont zahlt für das Ganze, also bricht sie genau genommen in ihre eigene Wohnung ein.«
    »Olivia schleicht sich mitten in der Nacht in das Apartment ihrer Schwester?« Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Olivia du Pont sich irgendwo einschleichen würde.
    »Ja, genau. Marlowe Hughes und Tageslicht sind keine gute Kombination. Nachts ist sie, äh, lockerer.«
    »Und wieso ist sie nachts so locker?«
    »Ihr Dealer kommt um acht. Ein paar Stunden später reitet sie auf dem fliegenden Teppich über Shangri-La.« Er grinste, doch als er meine Reaktion sah, schüttelte er entschuldigend den Kopf. »Ich schwöre, das ist der einzige sichere Weg hinein. In der Nacht führen wir Reparaturen durch, holen den Müll raus, sehen nach, ob sie den Gasbrenner angelassen oder das Klo mit ihrer Fanpost verstopft hat. Einmal die Woche bringt Ms du Pont was zu essen und frische Blumen hoch. Wenn sie das tagsüber machen würde, gäb’s ein Gemetzel. Aber so denkt Marlowe, wenn sie aufwacht, dass die Elfen vom Weihnachtsmann zu Besuch waren.«
    Er trank einen Schluck Kaffee und schielte über meine Schulter hinweg. Ich sah, dass einer der anderen Portiers aus The Campanile herausgekommen war.
    »Artie hat jetzt Pause. Kommen Sie, äh, einfach um elf vorbei und ich bring’ Sie hoch. Aber …« Er blinzelte. »Kennen Sie diese elektrischen Stechstangen, die für die Raubtiernummer im Zirkus verwendet werden? So eine sollten Sie sich besorgen.« Er lachte von Herzen über seinen eigenen Witz, dann ging er auf dem Gehsteig davon. »Siegfried und Roy haben die allerdings auch nicht geholfen«, schob er im Gehen nach, »ich kann Ihnen da nichts versprechen.«

82
    Eine Viertelstunde später saßen wir im Fenster des
Starbucks
Ecke Second Avenue und East 50 th.
    »Die Situation ist ideal«, sagte Hopper. »Wenn Hughes außer Gefecht ist, haben wir jede Menge Zeit, uns bei ihr umzusehen.«
    Ich war erleichtert, dass mit Hopper heute Morgen alles in Ordnung war – trotz allem, was er uns gestern erzählt hatte. Es war immer schwierig abzuschätzen, wie jemand nach solchen Enthüllungen reagieren würde. Aber er schien jetzt sogar mehr bei der Sache zu sein.
    »Das ist, als hätte man Zugang zum Haus von Marilyn Monroe«, sagte Nora. »Oder Elizabeth Taylor. Überlegt mal, die ganzen Fotos und Briefe und Affären mit Präsidenten, von denen niemand weiß. Vielleicht weiß sie sogar, wo Cordova ist.«
    »So

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