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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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auf den Weg hinab. »Viel Glück.«
    Wir drei sahen einander verunsichert an.
    »Sie tut mir leid«, sagte Nora. »Die ist da drin eingesperrt.«
    Die einzigen Geräusche waren das Brutzeln einer Neonleuchte im Treppenhaus und Harolds gleichmäßiges Stampfen weiter unten.
    Wir schlichen hinein und fanden uns in einem dunklen Wäscheraum wieder, der nach Schweiß und Babypuder roch. Ich schaltete das Deckenlicht an. Überall waren Berge von Seidenroben und Pyjamas aufgetürmt, auf der Waschmaschine, in überquellenden Wäschekörben und auf dem Fußboden. Eine sah aus wie etwas, das der König von Siam getragen haben könnte, mit bauschenden Ärmeln und einer roten Schärpe. Ich öffnete die Tür am anderen Ende des Raumes einen Spaltbreit und blickte in einen langen, dunklen Flur.
    Es war still. Das einzige Licht kam aus einer geöffneten Tür am Ende,
Marlowes Schlafzimmer
, laut Harolds Anweisungen.
    »Sie scheint bei eingeschaltetem Licht zu schlafen«, flüsterte Nora neben mir.
    »Wir sehen nach ihr«, sagte ich. »Danach schauen wir uns um.«
    Wir betraten den Flur, an dessen Wänden gerahmte Fotos hingen, wie in einem Salon. Es war gerade hell genug, um sie erkennen zu können: Marlowe am Pool, umgeben von Palmen, mit einem breitkrempigen schwarzen Hut; Marlowe bei der Premiere von »Der Pate II «, mit Pacino am Arm; in einem Achtziger-Jahre-Hochzeitskleid (mit Puffärmeln, die wie Schwimmflügel aussahen), einen unscheinbaren Bräutigam anlächelnd, der ziemlich verstört wirkte, eine solche Granate zu heiraten. Das musste der Tierarzt sein, den sie nach Cordova geheiratet hatte. Beckman hatte über ihn nur eines zu sagen: »Sie war so viele Nummern zu groß für ihn, dass er an Höhenangst erkrankte.« Ich fand keine Aufnahme, die eindeutig Cordova oder ihre Zeit in The Peak zeigte. Nach einem Foto von Marlowe am Set von »Liebhaber und andere Fremde«, auf dem sie auf Jack Nicholsons Schoß saß, folgte exakt in der Mitte des Flures das Herzstück der Sammlung: ein riesiger Schwarzweißdruck von ihrem wunderbaren Profil, den Kopf nach hinten gekippt und in Schatten und Licht eingetaucht. Ihre Schönheit war erstaunlich, so heftig, dass sie Linsen und Glühbirnen zum Platzen brachte, den Verstand lahmlegte und
unmöglich
stottern ließ. In der Ecke war eine Signatur zu sehen:
Cecil Beaton, 1979
.
    Wir gingen an drei geöffneten Türen vorbei, doch ich konnte nichts erkennen. Die Vorhänge mussten zugezogen sein.
    Vor Marlowes Schlafzimmer blieben wir stehen, überwältigt von dem Anblick, der sich uns bot. Noch nie hatte ich eine so verfallene tropische Pracht gesehen.
    Es sah aus wie eine ausgetrocknete Lagune, das Flamingogehege eines Zoos, der vor Jahren pleitegegangen war. Zwei riesige Kunstpalmen stießen trübselig gegen die Decke. Die Tapeten mit ausgeblichenem rosa Blumendekor waren mit schwarzem Schimmel bedeckt, was dem Raum Bartstoppeln zu verleihen schien. Es roch beißend nach Lufterfrischer, Schimmel und dem Chlor eines Motelpools. Eine winzige Bronzelampe tauchte alte Holzkommoden und vergoldete Beistelltische in ein rosa Licht. Porzellanfiguren standen überall verstreut – Trommler und Boxer und Schwäne mit abgeschlagenen Schnäbeln. Vasen quollen über vor künstlichen Blumen, die gar nicht versuchten, echt auszusehen, mit glänzenden Plastikblättern und gigantischen Blüten in artifiziellen Bonbonfarben. Die hintere Seite des Zimmers wurde von einem barocken Doppelbett beherrscht, das dort schwebte wie eine alte festgemachte Fähre.
    In der Mitte des Bettes lag, unter Wellen von Laken aus rosa Satin versteckt, eine winzige zusammengerollte Gestalt.
    Marlowe Hughes.
Der letzte Flamingo.
    So klein und dürr wie sie war, konnte man kaum glauben, dass dort tatsächlich eine Frau lag – ganz bestimmt nicht eine, die vom
Life
-Magazin als »Swimmingpool in der Wüste Gobi« bezeichnet worden war. Spitze Büschel platinblonden Haares wuchsen wie Dünengras aus den Laken heraus.
    Ich betrat auf Zehenspitzen den Raum, dicht gefolgt von Hopper. Der Teppich schluckte das Geräusch unserer Schritte. Er schien einmal cremefarben gewesen zu sein, doch jetzt führten festgetretene braune Wege durch den Raum. Ich ging hinüber zum linken Nachttisch, auf dem die orangefarbenen Fläschchen verschreibungspflichtiger Medikamente standen, eine mit einer seltsamen neongelben Flüssigkeit gefüllte Glasflasche, ein Aschenbecher voller Zigarettenstummel, von denen viele mit weinrotem Lippenstift

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