Die amerikanische Nacht
beschmiert waren. Ein roter Feuerlöscher stand neben dem Bett.
Für den Fall, dass sie sich versehentlich einäschern sollte.
Ihr Gesicht war komplett unter den Laken verborgen. Es war etwas so Verletzliches an diesem unbeweglichen, eingefallenen Häufchen, dass mich unweigerlich ein Anflug von Schuldgefühlen überkam.
»Ms Hughes?«, flüsterte ich.
Sie regte sich nicht.
»Wie sieht sie aus?«, flüsterte Nora besorgt, sie wartete in der Tür. »Geht’s ihr gut?«
»So gut wie einem geplatzten Reifen auf dem Seitenstreifen.«
»Im Ernst. Schläft sie?«
»Ich glaube schon.«
Hopper war zum Nachttisch auf der anderen Seite des Bettes gegangen und sah sich das Etikett eines der Medikamentenfläschchen an.
»Nembutal«, sagte er leise, schüttelte das Fläschchen und stellte es wieder ab. »Ziemlich retro.«
Er ging zu einer Kommode hinüber, die zwischen den Fenstern stand – versteckt hinter aufgeblähten rosa Vorhängen, die wie verblasste Brautjungfernkleider aus den frühen Achtzigern aussahen. Er öffnete die oberste Schublade, sah hinein und holte ein Blatt Papier heraus.
»›Liebe Miss Hughes‹«, las er leise vor, »›lassen Sie mich Ihnen zunächst versichern, dass ich Ihr größter Fan bin.‹«
Ich trat neben ihn. In der Schublade lagen stapelweise Umschläge, einige lose und zerknittert, andere mit Gummibändern versehen. Es war Fanpost. Ich zog einen Umschlag heraus. Als Absenderadresse war
Boonville Justizvollzugsanstalt C- 3
angegeben, die Sendung war am 21 . Mai 1980 abgestempelt worden. Der Brief war auf dünnem Schreibmaschinenpapier getippt.
Libe Miss Hughes, am 4 . Juli 1973 um 01 : 32 Uhr habe ich einen Mann auf dem Parkplatz vor Joe’s Barbecue erschosen.
Ich las den Rest des Briefes. Er bat sie, ihm zu schreiben, und schloss mit einer Liebeserklärung. Ich faltete den Brief wieder zusammen und zog einen anderen hervor.
Liebe Marlowe, wenn du je durch D’Lo, Mississippi, kommen solltest, komm doch bitte in meinem Restaurant vorbei, Villa Italia. Ich habe ein Hauptgericht nach dir benannt, Bellissima Marlowe. Es ist ein Cappellini-Gericht mit einer weißen Muschelsauce.
Ich schob den Brief zurück in die Schublade.
In einer Ecke stand ein Bücherregal voller Zeitschriften, davor ein zusammengeklappter Rollstuhl. Als ich einen Schritt darauf zu machte, wurde mir klar, dass diese Fanbriefe wie Parasiten in das Zimmer eingedrungen waren. Sie steckten in allen Ecken und Winkeln, füllten jedes Loch, waren auf Stapeln von
Hello!
-Magazinen versteckt, Ausgaben von
Star
aus den siebziger Jahren (auf einem der Cover war ein hässliches Foto von Marlowe zu sehen, BESOFFEN ! ENTZUG FÜR MARLOWE lautete die Titelzeile,
Der Exklusivbericht über ihren heimlichen Zusammenbruch
), einem zusammengebundenen Stapel Papier, der sich als ein mit Kaffeeflecken besudeltes Drehbuch herausstellte,
Die Betäuberin
von Paddy Chayefsky. Auf der ersten Seite klebte eine handgeschriebene Nachricht des Oscar-prämierten Drehbuchautors an Marlowe.
Miss M – ich dachte an Sie, als ich dies schrieb, P.
Ich zog einen weiteren Stapel Papier hervor, der sich als Ausdruck von Google-Treffern herausstellte.
Marlowe Hughes. Ungefähr 32 000 000 Ergebnisse.
Hopper sah sich einen weiteren Brief genau an, Nora stand über einen Schminktisch gebeugt, der mit alten Parfümflaschen und Schmuckkästchen übersät war, und betrachtete etwas, das wie sepiafarbene Babyfotos aussah, die an den Rand des fleckigen Spiegels geklemmt waren.
»Lasst uns loslegen«, flüsterte ich. »Ihr beiden nehmt euch die Zimmer vor, die vom Flur abgehen. Ich sehe mich hier um und behalte sie im Auge.«
Sie schienen nicht gehen zu wollen. Der Raum selbst wirkte wie eine Schlaftablette; man hätte ganz leicht für immer in diesem Pompeji der nicht eingelösten Versprechen herumstöbern können. Doch Nora nickte und steckte ein Foto zurück an den Spiegel. Dann warfen mir die beiden einen letzten Blick zu, verließen das Zimmer und schlossen die Tür.
Ich sah nach dem Häufchen auf dem Bett. Sie hatte sich nicht bewegt.
Auf der anderen Seite des Zimmers, hinter dem Schminktisch, war eine weitere Tür. Ich schlich hin, öffnete sie leise und schaltete das Licht an.
Es war ein großer begehbarer Schrank, randvoll mit Kleidern und Reihen von krummen Pumps und Stilettos. Auf der gegenüberliegenden Seite führte eine Tür in ein Badezimmer.
Es roch penetrant nach Mottenkugeln. Die Kleider schienen hauptsächlich aus den siebziger
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