Die amerikanische Nacht
und achtziger Jahren zu stammen. Ganz am Ende einer Garderobenstange fiel mir ein Satz blasslilafarbener Kleiderhüllen auf, die unter einem Bündel paillettenbesetzter Abendkleider hervorlugten.
Sie waren ganz hinten verstaut, als sollten sie nicht gefunden werden.
Es waren insgesamt neun. Ohne mir viel dabei zu denken, schob ich eines der Abendkleider zur Seite, nahm die erste Kleiderhülle von der Stange und öffnete den Reißverschluss.
Zu meinem Erschrecken war darin das schicke weiße Kostüm, das Hughes in »Kind der Liebe« getragen hatte, mitsamt der Grasflecken. Auf die Innentasche war das lilafarbene Etikett von Cordovas Kostümbildnerin genäht,
Larkin
.
Ich nahm die nächste Hülle und öffnete sie. Es war das gleiche Kostüm. Ich öffnete die Hülle dahinter. Identisch – doch dieses war blutbespritzt. Ich beugte mich vor und kratzte an einem der rostbraunen Flecken. Es sah ziemlich echt aus.
Ich öffnete die nächste Kleiderhülle. Auch darin steckte das gleiche Kostüm, diesmal mit noch mehr Blut und Schlamm. Der Rock war zerrissen. In der Hülle dahinter war das gleiche Kostüm, nur diesmal absolut sauber, makellos weiß.
Hughes trug während des ganzen Films, der sich über einen einzigen Tag erstreckte, nur dieses weiße Kostüm. Larkin hatte offensichtlich neun Exemplare angefertigt und mit unterschiedlichen Mengen Blut, Schlamm, Schweiß, Bier und Grasflecken versehen, je nachdem, an welcher Stelle der Erzählung Hughes sich befand. Am Ende des Films, nach allem, was sie auf der Jagd nach ihrem Erpresser und ehemaligen Zuhälter durchgemacht hat – sie wird vergewaltigt, verprügelt, durch Sozialbauten, über Schnellstraßen und durch Gassen gejagt und bekommt Beruhigungsmittel gespritzt –, ist das Kostüm zerrissen und braun vor Dreck. Sie zieht es aus und verbrennt es auf dem Grill in ihrem netten Vorstadtgarten, bevor sie sich neben ihren schlafenden Ehemann ins Bett legt – ein Kinderarzt, der nie erfahren wird, was seine Frau in ihrem vorherigen Leben und in den letzten unheilvollen vierundzwanzig Stunden gemacht hat. In der letzten, nervenaufreibenden Einstellung des Films legt er schläfrig seinen Arm um sie, während sie hellwach in die Dunkelheit ihres blitzblanken Schlafzimmers starrt – dieses Bild schien Cordovas Sicht der unsicheren Bindungen zwischen Menschen auf den Punkt zu bringen, nämlich dass wir den Menschen, die wir wirklich lieben, die tiefsten Geheimnisse über uns ersparen, als größter Akt der Menschlichkeit.
Mit meinem Telefon fotografierte ich die Kostüme. Dann schloss ich die Reißverschlüsse, hängte die Kleiderhüllen wieder an ihren Platz ganz hinten im Schrank und löschte das Licht.
Doch als ich das Schlafzimmer wieder betrat, traute ich meinen Augen nicht.
Das Bett war leer.
Der verschrumpelte Klumpen war nicht mehr da. Die rosa Satinbettlaken waren zur Seite geworfen worden.
»Miss Hughes?«
Keine Antwort.
Scheiße.
85
Sie musste sich irgendwo versteckt haben.
Der Rollstuhl stand immer noch zusammengeklappt neben dem Bücherregal, die Schlafzimmertür war geschlossen. Ich hob die Betthusse aus rosa Taft.
Bloß ein paar zusammengeknüllte Taschentücher.
Ich ging zu den Vorhängen hinüber und riss sie zur Seite, dann sah ich im Badezimmer nach. Es war leer – nur zwei der Glühbirnen über dem Spiegel funktionierten, auf einer Ablage lag altes Make-up – Rouge und Puder, falsche Wimpern in Plastikboxen, hinter der Tür ein schlaffer roter Morgenrock. Ich zog den Duschvorhang zur Seite. Ein schmutziger Luffahandschuh baumelte vom rostigen Duschkopf, darunter eine Duschablage mit dreckigen Flaschen. Timotei. Wella Balsam.
Hoffentlich standen die nicht hier, seit sie sich das letzte Mal die Haare gewaschen hatte.
Ich ging zurück auf den Flur und fand Nora im Nachbarzimmer, das mit Koffern und alten Kisten vollgestellt war. Sie hatte eine Lampe angeschaltet und durchsuchte den Wandschrank.
»Marlowe ist weg.«
»Was?«
»Sie ist aus dem Bett entwischt, als ich nicht geguckt habe.«
»Aber Harold sagte, sie braucht einen Rollstuhl, um sich fortzubewegen.«
»Harold irrt sich. Die Frau bewegt sich wie der Vietcong.«
Ich eilte hinaus, dicht gefolgt von Nora. Wir durchsuchten den nächsten Raum, ein überladenes Wohnzimmer, das wie ein verrottetes Terrarium aussah. Dann gingen wir in die altmodische Küche, wo wir auf Hopper stießen. Er fotografierte gerade Zeitungsausschnitte, die mit Magneten am Kühlschrank befestigt
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