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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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den Jeep und überquerten dann den Parkplatz.
    Wir ließen das Kanu ins Wasser, und Hopper sprang hinein, setzte sich ins Bug und schob seinen Rucksack hinter seinen Sitz. Nora kletterte als Nächste hinein, ein Fernglas baumelte ihr vom Hals. Ich griff nach meinem Paddel, warf meinen Rucksack ins Kanu und wollte gerade einsteigen, als ich mein Handy in der Jacke vibrieren spürte.
    Erst wollte ich es ignorieren, doch dann fiel mir ein, dass es Cynthia sein könnte. Ich zog meinen Handschuh aus und öffnete die Jackentasche. Es war eine gesperrte Nummer.
    »Hallo?«
    »McGrath.«
    Ich kannte die Stimme. Es war Sharon Falcone.
    »Scheiße, die Verbindung ist Schrott. Klingt, als wärst du am anderen Ende der Welt. Ich probier’s noch mal …«
    »Nein, nein«, rief ich. Ich hatte das ungute Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. »Was ist los?«
    »Nichts. Ich wollte mich nur noch mal wegen des Tipps melden, den du uns gegeben hast.«
    »Welcher Tipp?«
    »Der für den Kinderschutz.«
    Die Vermieterin und ihr tauber Neffe in der 83  Henry Street.
    Ich hatte ganz vergessen, dass ich Sharon deswegen angerufen hatte.
    »Bist du sicher, dass du mir die richtige Adresse gegeben hast? 83  Henry Street?«
    »Die stimmt.«
    »Sie haben das überprüft. Das Gebäude ist gar nicht als Wohnhaus zugelassen.«
    »Was?«
    »Da wohnt keiner. Keine Mieter …«
    Abrupt riss ihre Stimme ab. In der Leitung war ein lautes metallisches Echo zu hören.
    »Hallo?«
    »… illegal … ein paarmal letzte Woche …«
    »Sharon.«
    »… knietief, aber so richtig …«
    Ihre Stimme wurde von wildem Rauschen unterbrochen.
    »Hallo?«
    »… Sache war okay. McGrath, bist du noch dran?«
    »Ja. Hallo?«
    Ein Klirren kreischte durch die Leitung, dann war sie tot.
    Ich versuchte zurückzurufen, aber es kam keine Verbindung zustande. Ich wartete eine Minute, nur für den Fall, dass Sharon noch einmal durchkommen sollte, aber mein Handy hatte kein Netz. Ich steckte es zurück in meine Jackentasche und berichtete Hopper und Nora, was sie mir gerade erzählt hatte.
    »Was soll das heißen, leer?«, fragte Nora.
    »Es gab keine Mieter.«
    »Aber das kann nicht sein.«
    »Wirklich?«
    »Nein«, sagte Hopper. »Vielleicht waren das illegale Einwanderer. Und als wir auftauchten, fühlten sie sich beobachtet.«
    »Aber Ashleys Nachbarin«, warf Nora ein, »Iona. Die war keine Illegale. Sie hatte einen amerikanischen Akzent und sagte, dass sie schon seit einem Jahr da wohnte. Warum sollte sie abhauen?«
    »Um nicht wegen Prostitution festgenommen zu werden.«
    Das überzeugte Nora nicht. »Mir scheint das nicht richtig zu sein.«
    Sie verstummten und warteten, was ich dazu zu sagen hatte. Ich merkte, dass dies die Gelegenheit war, um nicht weiterzumachen, um alles noch einmal zu überdenken und zurückzufahren.
    Der Himmel hatte sich von Weiß in Grau verfärbt, der Wald um uns herum war gedämpft und still. Ich kletterte hinein und griff zum Paddel.
    »Wir kümmern uns darum, wenn wir zurück sind«, sagte ich.
    *
    Da war kein Bach, nur ein Sumpf.
    Wir hatten die letzte Stunde damit verbracht, den Lows Lake zu überqueren, Hopper und ich hatten schweigend gepaddelt. Jetzt waren wir am Nordufer angekommen und suchten beharrlich nach dem versteckten Rinnsal, das uns auf das Gelände von The Peak bringen würde. Wir waren im Schlammwasser gefangen, das mit scharfen Gräsern und dichten grünen Algen durchzogen war. Die Algendecke brach vor uns in Klumpen auseinander und schloss sich wieder, sobald wir uns hindurchgeschoben hatten, so dass wir keine Spuren hinterließen.
    Der Wind hatte sich gelegt – seltsam, denn noch vor wenigen Minuten war es draußen auf dem See stürmisch gewesen. Wir waren von Bäumen umgeben, die dicht an dicht standen wie gestrandete Gefangene. Es war kein einziger Vogel zu hören, kein Rascheln in den Ästen, kein Rufen – als wäre alles Lebendige geflohen.
    »Das kann nicht richtig sein«, sagte Nora und drehte sich um.
    Ich hatte, weil ich hinter ihr saß, gar nicht bemerkt, wie besorgt sie war.
    »Gib mir mal die Karte.«
    Sie reichte sie mir zusammen mit dem Kompass.
    »Wir sollten umkehren«, platzte es aus ihr heraus, während sie ins Schilf starrte.
    »Was?«,
fragte Hopper gereizt und drehte sich um.
    »Wir dürfen hier nicht im Dunkeln festhängen. Hier können wir nicht schlafen.«
    »Wer hat was von
hier schlafen
gesagt?«
    »Wir sollen einem
Fluss
folgen. Wo
fließt
es denn hier?«
    »Wir suchen noch ein

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