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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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Wohnmobile –
Green Meadows
,
Der freundlichste Lagerplatz in den Nördlichen Wäldern
stand auf einer Holztafel. Daher dachte ich, dass im
Evening Shade
genug los sein würde, dass die Besitzer nicht allzu sehr auf jeden einzelnen Gast achteten.
    Da hatte ich mich komplett geirrt.
Die Frau sah mich an, als wüsste sie, dass sie mich in wenigen Tagen bei einer Gegenüberstellung identifizieren müsste.
    Ich ging den Weg entlang und sah mir den Parkplatz an. Nach dem Mittagessen war es deutlich leerer geworden. Jetzt standen nur noch wenige Autos da, nichts Verdächtiges, niemand, der uns beobachtete. Ein glatzköpfiger Mann stieg aus einer weißen Limousine und streckte sich gähnend, bevor er sich auf den Weg zur Rezeption machte.
    Ich hielt vor Nummer neunzehn an – das vorletzte Zimmer – und klopfte einmal.
    Hopper öffnete die Tür. Ich huschte hinein.
    »Wie ist es gelaufen?« Er verschloss die Tür hinter mir.
    »Gut. Ich musste bis rauf nach Tupper Lake.« Ich gab ihm die Plastiktüte und er zog eine neue Kamerabatterie heraus – am Morgen hatte er festgestellt, dass sein Akku sich nicht aufladen ließ, also hatte ich einen Ersatz besorgt. »Sie hat nur einen Ersatzschlüssel. Wer will den haben?«
    »Gib ihn Nora.«
    Ich ging zur anderen Seite des Doppelbettes, wo Nora gerade einen Proteinriegel aß, und gab ihn ihr. Sie lächelte matt. Sie hielt ihren Blick einen Augenblick zu lang auf mich gerichtet.
    Ich wusste, was sie dachte, was wir
alle
dachten: was, wenn dieser Plan, den wir in den letzten zwölf Tagen so systematisch ausgeheckt hatten, ein Fehler war?
    Wir hatten die verschiedenen Möglichkeiten abgewogen. Es gab keinen anderen Weg. Hätte ich Sharon Falcone angerufen und ihr von meinem Verdacht erzählt, dass in The Peak okkulte Verbrechen verübt wurden, hätte sie mir gesagt, was ich bereits wusste: Die Polizei brauchte für einen Haftbefehl eindeutige Beweise, Beweise, die ich nicht hatte.
    Das Einzige, was ich hatte, war das Wissen um einen geheimen Zugang zum Grundstück. Die Spinne hatte behauptet, dass er den Zaun für die Leute aus der Stadt an einem Zufluss durchtrennt hatte. Marlowe hatte erwähnt, dass dieser vom Lows Lake ausging.
    Auf den Karten der Gegend konnte ich einen solchen Fluss nicht finden. Erst als wir auf eine geologische Karte von 1953 stießen, entdeckten wir, was es sein konnte – ein zartes, namenloses Rinnsal, das am Nordufer des Sees abfloss und sich durch dichten Wald bis zum Gelände von The Peak wand.
    Wenn wir diesen Bach finden und uns heimlich nach Einbruch der Dunkelheit Zugang verschaffen könnten, würden wir ein für alle Mal herausfinden, was in The Peak war – ob es dort Beweise nicht nur für okkulte Praktiken, sondern auch, wie die Spinne angedeutet hatte, für tatsächliche Kindermorde gab. Wir würden alle Beweise sammeln, die wir finden konnten, und vor Sonnenaufgang auf demselben Weg wieder verschwinden, um alles an die Behörden zu übergeben.
    Der Plan war hochriskant – ganz zu schweigen davon, dass er illegal war, unmoralisch, völlig ungeheuerlich, und dass er die Grenzen selbst der flexibelsten Ethik des investigativen Journalismus überschritt. Es war nicht unwahrscheinlich, dass einer von uns festgenommen werden würde – oder verletzt. Ich riskierte einen neuen Tiefpunkt meiner beruflichen Schande. Ich konnte mir die Schlagzeilen bereits vorstellen.
Er kriegt nicht genug: Blamierter Journalist beim Einbruch in Cordovas Anwesen ertappt. Richter ordnet umfassende psychiatrische Untersuchungen an.
    Ich hatte Nora und Hopper all das erklärt und betont, dass es meine Entscheidung war, eine, die eher persönlich als professionell bedingt war, und dass sie besser zurückbleiben sollten. Aber Hopper war so wild entschlossen wie ich. Er hatte verbissen gesagt,
»Ich bin dabei«,
als hätte er das schon längst entschieden. Auch Nora blieb hartnäckig.
    »Ich komme mit«, hatte sie verkündet.
    Und damit war es entschieden gewesen.
    Doch im Laufe der letzten Woche, während wir den Plan verinnerlicht und die Ausrüstung zusammengestellt hatten, und sogar noch, als wir die sieben Stunden in die Adirondacks gefahren waren, eine öde Landschaft mit grauem Himmel und von Bäumen überwachsenen Straßen – hatte sich das, was wir vorhatten, immer größer vor uns aufgetürmt. Es war ein Berg, den wir bestiegen und der unter unseren Füßen zu einer wild wuchernden, himmelhohen Bergkette anwuchs und uns zurückstieß, mit einem

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