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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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eingeatmet hatten, jetzt in mir drin, als verlangsamte sie meine Gliedmaßen und unterdrückte meine Gedanken.
    Hopper deutete nach vorne. Am Ende dieses schwarzen Tunnels von Bäumen war eine schimmernde Fläche zu sehen.
    Graves Pond
 – der See, in dem Genevra ertrunken war.
    Wir erreichten die Mündung in weniger als einer Minute, hielten am Ufer an und lauschten. Nora setzte das Fernglas ab und nickte. Wir steuerten das Kanu auf den See und hielten uns rechts, ganz nah am Rand und im Schutz der überhängenden Äste.
    Auf der anderen Seite war eine hölzerne Anlegestelle zu sehen.
    Sie sah verlassen aus, eine einfache Holzleiter führte seitlich ins Wasser und eine Treppe zu einem gepflasterten Weg, der sich einen steilen Hügel hinaufwand und langsam immer sichtbarer wurde.
    Plötzlich setzten sich Hopper und Nora ruckartig auf.
    Und dann sah auch ich, was sich langsam über dem Kamm des Hügels erhob wie eine dunkle Sonne.
    The Peak.
    Es saß dort im Mondlicht, ein schweres Herrenhaus von einer solchen Dunkelheit, dass es die Nacht, die es umgab, grau erscheinen ließ. Seine Pracht erinnerte an einen europäischen Adelssitz, an eine verlorene Welt von Pferdewagen und Kerzenlicht. Spitzgiebeldächer ragten empor und spießten den Himmel auf. Ich konnte einen kunstvollen Eingangspavillon erkennen, einen Säulengang vor der Zufahrt, drei Reihen von Fenstern, von denen keines beleuchtet war – all das lag im Schatten, als sei der Schatten der Mörtel, der alles aufrechterhielt. Das Haus schien die Gesetze der Physik in Frage zu stellen, das unvermeidliche Abrutschen der größten Bauwerke der Menschheit in Verfall und Zerstörung. Stattdessen schien es sich damit zu brüsten, noch jahrhundertelang auf diesem Hügel stehen zu wollen.
    Ein wild überwucherter Rasen erstreckte sich atemlos vom Graves Pond bis zum Haus hinauf. Es gab kein Zeichen von Leben, keine Bewegung. Ich hatte das Gefühl, dass das Gebäude bereits vor einiger Zeit verlassen worden war.
    Wir zogen uns mit den Paddeln an Land und setzten das Kanu im Schlamm auf. Dann kletterten wir hinaus und schulterten unsere Rucksäcke. Hopper und ich trugen das Kanu vom Ufer in den Wald hinein, wo wir es hinter einem umgefallenen Baum absetzten und mit Blättern und Ästen bedeckten. Nora steckte einen Zweig in die Erde am Ufer, damit wir das Boot später wiederfinden würden. Dann nahmen wir uns einen Augenblick Zeit, um uns gegenseitig zu begutachten. Hopper sah gestärkt aus, die Dunkelheit ließ sein Gesicht noch härter erscheinen. Nora wirkte auf beunruhigende Weise blass. Ich drückte ihre Schulter, um ihr Mut zu machen, doch sie fummelte nur am Reißverschluss ihrer Jacke herum, bis sie ihn ganz bis zum Kinn hochgezogen hatte.
    »Denkt an den Notfallplan«, flüsterte ich. »Wenn was passiert, treffen wir uns hier.«
    Wir nickten uns zu und gingen los. Der Plan sah vor, dass wir uns erst am Haus umsehen und dann versuchen würden, hineinzukommen. Anschließend wollten wir die Lichtung im Wald finden, wo die Rituale abgehalten wurden. Wir gingen genau in nördliche Richtung, erst am Ufer des Sees entlang, dann hintereinander einen steilen Hügel durch den Wald hinauf, ungefähr in Richtung des Hauses. Als wir die Anhöhe erreichten, hielten wir uns in den Bäumen versteckt und hatten freien Blick auf den Ostflügel von The Peak.
    Auch von nahem wirkte das Haus palastartig, doch ich konnte sehen, wie verwittert die Fassade war, der Kalkstein war streifig und verblasst. An den Giebeln und Ecken konnte ich aufwendige Verzierungen erkennen, schwarze Schmiedearbeiten und gehauene Steine unter dem Dach. Auf den Fenstersimsen und über den Eingängen saßen Gargoyle in Form von Krähen – auf den ersten Blick hielt ich sie für echte Vögel. Im Erdgeschoss gab es einen Wintergarten mit einer Glaskuppel, der zu einer mit Säulen versehenen Loggia führte. Sie war in absolute Dunkelheit getaucht.
    Ein Weg führte vom Fuß der Terrassentreppe durch das hohe Gras auf eine enorme Wand aus verwildertem Liguster zu, die irgendwo hinter dem Haus endete. Von Luftaufnahmen wusste ich, dass die Hecke in die ausladenden Gärten des Anwesens führte, die in Cordovas »Atmen mit den Königen« eine wichtige Rolle spielten. Bei Google Earth hatten wir gesehen, dass Spuren der aufwendigen Landschaftsgestaltung noch immer vorhanden waren – mit Kieseln ausgelegte Wege und zahlreiche Skulpturen –, doch das meiste war unter dem wild wuchernden Grünzeug

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