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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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bisschen weiter«, sagte ich.
    Minuten später hingen wir auf einem unter Wasser liegenden Baumstamm fest. Hopper kletterte ohne zu Zögern über Bord. Er stand bis zum Oberschenkel in der Brühe und schob uns weiter. Als er wieder ins Boot kletterte, war seine Jeans voller Schlamm und diesen seltsamen neongrünen Algen, doch das schien er gar nicht zu merken, oder es störte ihn nicht. Er blickte entschlossen nach vorne, als befinde er sich in Trance, und schlug das Grünzeug mit seinem Paddel zur Seite. Ich stellte mir unweigerlich vor, dass er an Ashley dachte, denn diese absolute Leere der Wildnis hier draußen schien Reue und Ängste ganz natürlich heraufzubeschwören.
    Wir kamen weiterhin nur langsam voran. Der Sumpf roch nach Verwesung, ein Geruch, der von den Algen auszugehen schien, die immer dichter wuchsen, je tiefer wir in dieses Moor vordrangen. Wir mussten die Paddel senkrecht einstechen, um uns mit dem Kanu auch nur wenige Zentimeter durch den Schlamm und das gelbe Schilf zu kämpfen, das einen beklemmend engen Gang um uns bildete.
    Ich sah auf die Uhr. Es war bereits nach fünf. In weniger als einer Stunde würde es dunkel werden. Unser Plan sah vor, dass wir jetzt bereits auf dem Grundstück von The Peak sein sollten.
    Plötzlich schnappte Nora nach Luft, hielt sich eine Hand über den Mund und zeigte auf etwas links von uns.
    Ein verblichener roter Faden war an einem der Schilfrohre festgeknotet worden, das Ende baumelte im Wasser. Ich erkannte es sofort. Marlowe hatte behauptet, dass Cordova solche Fäden entdeckt hatte, als er gerade in The Peak eingezogen war. Sie hatten ihn zu der Lichtung geführt, auf der die Leute aus der Stadt ihre Rituale abhielten.
    »Wir sind auf dem richtigen Weg«, sagte Hopper.
    Wir stießen uns weiter voran, und mit einem Mal wurde der Sumpf tiefer und der Schlamm dünnflüssiger. Wie aus dem Nichts war jetzt eine schwache Strömung zu erkennen. Die einzigen Geräusche waren das Plätschern des Wassers und das sich biegende Gras um uns herum, das flüsternd die Seiten des Bootes berührte.
    »Ich kann den Zaun sehen«, sagte Hopper.
    Tatsächlich – weit vor uns konnte ich die dunkle Silhouette von Cordovas Militärzaun erkennen, der den Fluss durchschnitt und den südlichen Rand seines Grundstücks markierte.
    Als wir noch vier Meter entfernt waren, hielten wir an, indem wir die Paddel gegen das Ufer stemmten. Der Zaun sah aus wie etwas, das man um ein stillgelegtes Gefängnis herum finden würde, der Maschendraht war verrostet und ganz oben mit Schlingen von Nato-Draht gesichert. An der Stelle, wo das Wasser unter dem Zaun hindurchfloss, war der Draht brutal zerhackt worden – ganz genau so, wie Marlowe es beschrieben hatte, die Enden waren zurückgebogen worden, so dass eine etwa dreißig Zentimeter breite dreieckige Öffnung entstanden war.
    »Siehst du irgendwelche Kameras?«, fragte ich.
    Nora sah durch ihr Fernglas und schüttelte den Kopf.
    Ich öffnete meinen Rucksack, holte die Glühbirne heraus und stieg aus, um zum Zaun zu gehen. Sofort sah ich drei Kabel, die horizontal genau dort verliefen, wo der Zaun zerstört worden war. Sie hingen lose herunter, und am nächsten Metallpfosten hatten sie sich aus der Halterung gelöst.
    Ich hielt den Metallkontakt der Birne gegen die Kabel. Bei den ersten beiden tat sich nichts. Doch beim dritten Kabel, dem untersten der drei, leuchtete die Birne orange auf und brannte durch.
    Nach all den Jahren stand das Kabel immer noch unter Strom. Ich trat an den Bach heran und verfolgte den Weg des Kabels, das schlaff zwischen den durchtrennten Zaundrähten verlief, über der Öffnung hing und auf der anderen Seite weiterging.
    »Das Kabel da führt Strom«, sagte ich und ging zurück zum Boot. »Die Birne ist durchgebrannt.«
    »Killer-Sicherheitssystem«, sagte Hopper. »Ohne Witz.«
    »Das ist nicht witzig«, sagte Nora und sah mich verunsichert an.
    »Da ist Platz genug, um drunter her zu passen«, sagte ich. »Wir legen uns hin. Einer nach dem anderen.«
    Die Alternative war, hindurchzuschwimmen – ohne das Boot wäre es leicht, unversehrt unter dem Kabel hindurchzukommen –, aber bis zum Hals klatschnass zu sein, wenn die Temperaturen unter null fallen sollten, wäre ein enormes Handicap und würde eine systematische Suche auf dem Gelände erschweren. Die beste Methode war es, im Kanu unter dem Kabel hindurchzugleiten, solange jeder von uns unterhalb des Bootsrandes blieb. Das Kanu bestand aus Glasfaser, aber an

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