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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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eine psychiatrische Anstalt gebracht wird und Brad tot ist, auf unbestimmte Zeit unbewohnt bleiben wird.
    Die letzte Einstellung von »Daumenschraube« ist eine langsame Kamerafahrt, die vom Koffer unter dem Bett durch den Flur, die Haustür und an den Polizisten vorbei in den Wald führt, bevor das Bild schwarz wird.
    Ich ließ mich vom Sofa rollen – ich konnte meine Beine wieder ein wenig spüren – und trat durch das Zimmer zum Kamin.
    Ich ging zu den Bücherregalen. Ich erinnerte mich, dass »Daumenschraube« 1978 gedreht wurde und auch die abgegriffenen Taschenbücher stammten aus dieser Zeit:
Auf der Suche nach Mr Goodbar
,
Brennen muss Salem
,
Das Jesus-Papier
. Das Gleiche galt für die Tapete mit braun-senfgelben geometrischen Formen, die lackierten Möbel, die orangefarbene Deckenleuchte, die bei der Haustür hing, und die orange geflieste Kochnische mit einem Waffeleisen auf der Arbeitsplatte.
    Der Ort fühlte sich so eingefroren an wie Pompeji, als habe das Leben hier plötzlich angehalten, mitten im Gespräch. Es roch verschimmelt, als sei seit Jahrzehnten niemand mehr hier gewesen.
    Ich trat durch die Tür in einen schmalen Korridor. Es war dunkel. Ich tastete mich vor und öffnete zwei falsche Türen – sie führten zurück in den Lagerraum –, doch hinter der Tür am Ende lag ein anderes Zimmer.
    Es war das Schlafzimmer der Jacksons. Ich ging zum Kleiderschrank und schob die Tür auf. Emilys Kleidung hing dort, Hauskleider, eine Jeans mit Schlag, darunter standen Plateausandalen und Discostiefel. Ich trat zur anderen Seite des Schrankes, wo Brads Kleider aufbewahrt wurden, Wollhosen und Tweedjacken.
    Ich nahm mir eine braune Cordhose und ein gelbes Button-Down-Hemd aus dem obersten Regal. Ich zog sie schnell an, weil ich gar nicht erst versuchen wollte, zu verstehen, dass ich gerade Brad Jacksons siebziger Jahre-Klamotten anzog, dass ich buchstäblich »Daumenschraube« durchstöberte.
    Die Hose war ein paar Zentimeter zu kurz, aber sie passte ungefähr. Also war Ray Quinn Jr, der Brad Jackson spielte, kein Homunkulus, im Gegensatz zu den meisten anderen Hauptdarstellern in Hollywood. Ich zog einen roten Pullover über, der mir an den Ärmeln viel zu eng war, fand ein Paar karierte Socken in der Schublade einer Kommode, auf der ein orangefarbener tragbarer Schallplattenspieler stand, mit James Browns »Payback« auf dem Plattenteller. Ich zog die Socken an und wollte gerade zurück ins Wohnzimmer, um mein weiteres Vorgehen zu planen, als ich in der Tür verharrte.
    Ich sah plötzlich Wolfgang Beckman vor mir – wie er mich mit hervorquellenden Augen anschreien würde: »Du stolperst
zufällig
in Brad und Emily Jacksons Farmhaus in Vermont, und es kommt dir nicht in den Sinn, unter dem Bett nach dem
Aktenkoffer
zu sehen? Du bist für mich gestorben.«
    Von dieser Halluzination gebannt ging ich in die Hocke und spähte unter das Bett.
    Es war zu dunkel, um etwas zu erkennen. Also stand ich wieder auf, ging zum Nachttisch, schaltete die Lampe an und rückte das Bett von der Wand ab, um besser sehen zu können.
    Sofort hörte ich einen dumpfen Aufprall.
Er war da
.
    Ich starrte ungläubig auf ihn.
    Der berühmte braune Samsonite-Aktenkoffer.
    Er war zwischen der Wand und dem anderen Nachttisch in der Ecke eingekeilt gewesen. Ich war schockiert und gleichzeitig – was sagte Emily im Film?
Wo auch immer der Aktenkoffer ist, ist Brad nicht weit.
Ich ertappte mich dabei, wie ich über die Schulter zur leeren Tür sah und halb damit rechnete, Brads verzerrten Schatten an die Flurwand geworfen zu sehen.
    Ich packte den Koffer am Griff – er war unerwartet schwer – und legte ihn aufs Bett.
    Ich versuchte, die Verschlüsse zu öffnen.
Abgeschlossen.
Doch dann fiel mir ein, dass ich die Kombination kannte. Emily unternimmt große Anstrengungen, um sie herauszubekommen. Es war das Datum der Plünderung Roms, der letzten Niederlage im Untergang des römischen Reiches, der den Beginn des finsteren Mittelalters markierte.
    410 .
    Ich stellte die Ziffern ein. Die Verschlüsse sprangen auf.
    Ich öffnete den Koffer.
    Er war voller Papiere. Ich blätterte sie durch und zog eine Ausgabe von
TIME
heraus, vom 31 . Juli 1978 , mit dem ersten Retortenbaby auf der Titelseite. Darunter lag ein Stapel von Hausarbeiten, die mit handschriftlichen Kommentaren versehen waren.
Marcie, du argumentierst sehr schön, dass das finstere Mittelalter eine natürliche Erscheinung im Kreislauf der Geschichte war, aber du

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