Die amerikanische Nacht
Licht zugenommen, war immer näher gekommen –, als plötzlich, als ich gegen die Decke drückte, der Boden nachgab.
Das Licht war grell und
ich stürzte, ich stürzte hinab
…
Ich streckte die Hände aus und packte den Rand der Kiste, kurz bevor sie an mir vorbeiflog. Ich hielt mich verzweifelt fest, während das Brett, das ich gerade zerbrochen hatte, unten am Boden aufschlug.
Ich sah hinab.
Vielleicht waren es bloß meine schlechten Augen, die nicht mehr länger Räume wahrnehmen konnten, doch es schien mir, als hinge ich von der Spitze eines Wolkenkratzers herab und als befinde sich der Betonboden anderthalb Kilometer unter mir.
Helles Licht schien von irgendwo herein, durch ein Fenster, das ich nicht sehen konnte. Ich reckte den Hals und konnte erkennen, dass ich mich in einem riesigen Stahlturm befand und wie ein verhedderter Faden aus einem Loch in einer großen, an der Decke hängenden Holzkonstruktion baumelte.
Sonst war hier nichts, nur eine Metallleiter, die vom Boden aus die Stahlwand hinaufführte und oberhalb des Kastens verschwand.
Ich musste da hoch. Außen herum konnte ich nicht.
Der einzige mögliche Weg war, wieder hineinzuklettern.
Ich stemmte mich auf meine Ellbogen, was die gesamte Konstruktion gefährlich ins Schwanken brachte. Die Kabel oder Seile, die das Teil in der Luft hielten, ächzten beunruhigend, als hinge das Ganze wortwörtlich am seidenen Faden – als hinge ich am seidenen Faden.
Es gelang mir, mich zurück in die Kiste zu wuchten, und dann kletterte ich, mit möglichst ruhigen Bewegungen, um die Konstruktion nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, durch jedes meiner Löcher in den Hexagonen zurück. Es fühlte sich schrecklich an, in die Kisten einzubrechen, aus denen ich mich gerade erst befreit hatte. Mein Verstand protestierte, weil es um mich herum immer dunkler wurde, so als würde mit dem Licht auch jede Hoffnung auf Entkommen verschwinden. Darauf, zu leben.
Ich verbrachte die nächsten Stunden damit, nach einem anderen Ausgang zu suchen. Ich trat gegen die anderen Bretter in den anderen Sechsecken und versuchte die Wände zu finden, die mich nach oben bringen würden – zu dieser Leiter.
Doch egal wie hart ich auch zutrat, kein Brett gab nach.
Ich konnte mich nicht gegen den Verdacht wehren, dass ich in meiner Zerstörungswut, meinem Zorn, versehentlich den richtigen Weg heraus kaputt gemacht hatte, den
einzigen
Weg, und dass mir jetzt nichts anderes übrigblieb, als auf das Unausweichliche zu warten.
Die Zeit wurde zu einer milchigen Flüssigkeit, von der ich mich tragen ließ, wie von einer langsamen Strömung ließ ich mich von dieser Kiste wegtreiben, hin und her.
Dann merkte ich, dass ich auf meiner rechten Seite lag und von außen durch das Loch blickte, dass ich in den allerersten Sarg getreten hatte. Plötzlich wurde ich auf ein Flattern aufmerksam, das mich aus einem Traum aufschreckte.
Die Motte.
Ich hatte sie vergessen. Ich war überwältigt vor Erleichterung über diesen Anblick, die Erkenntnis, dass ich nicht allein war. Sie krabbelte an der Decke entlang, fiel herunter, richtete sich in aller Ruhe wieder auf und probierte es an der nächsten Wand erneut. Ich beugte mich hinein und schob sie sanft auf meine Hand. Sie stellte ihre Antennen auf und begann herumzulaufen und die Grenzen ihres neuen Käfigs zu erkunden, der natürlich meine Handfläche war.
Also würde ich hier sterben.
Ich würde mein kleines Leben hinter mir lassen.
Ich hatte es kaum aufgetragen. Das Leben war ein Anzug, den ich nur zu besonderen Anlässen angezogen hatte. Die meiste Zeit hatte ich ihn hinten im Schrank gelassen und vergessen, dass er da war. Eigentlich sollten wir sterben, wenn die Nähte kaum noch halten, wenn die Ellbogen und Knie fleckig von Gras und Dreck sind, die Schulterpolster schief, weil man ständig Leute umarmt, wenn der Stoff von Wolkenbrüchen und brennender Sonne ausgebleicht ist und die Knöpfe fehlen.
Sam kam mir in den Sinn.
Sie war so, wie sie immer war, sie trottete zu mir herüber mit ihren braungebrannten nackten Füßen und ihrem vernünftigen Gesicht und blickte auf mich herab, mit krauser Nase.
Was würde sie denken, wenn Cynthia ihr sagte, dass ich verschwunden war?
Ich würde zu einem Mysterium werden, dem sie Leben einhauchen musste. Ich würde zu einem Helden, einem Abenteurer, der auf der Suche nach versunkenen Schätzen auf offener See verschollen war, mutiger, als ich es je gewesen war. Oder nein – ich würde zu einer
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