Die amerikanische Nacht
auch die Fotos. Da hat sich jemand schmieren lassen.«
»Die Fotos?«, wiederholte ich, weil ich ihr nicht folgen konnte.
»Hab ich doch erzählt. In der Akte fehlten ein paar Aufnahmen ihres Körpers. Die wurden gar nicht erst verzeichnet. Jetzt läuft gerade eine Hexenjagd in der Abteilung, weil man dem Ganzen auf den Grund gehen will. Ziemliches Chaos. Und ich bin sicher, dass sie nichts finden werden. Solche Fährten lösen sich in Luft auf, bevor sie überhaupt gelegt werden. Die Familie des Mädchens hat Einfluss.«
Ich erinnerte mich, dass Sharon die fehlenden Bilder erwähnt hatte. Ashleys Rumpf von vorne und von hinten.
»Unser Telefonat vor ein paar Tagen«, sagte ich nach einer Weile, »wegen dieser Sache für das Jugendamt. Die Verbindung war nicht so gut …«
»Das Gebäude ist nicht als Wohnhaus zugelassen. Es gab keinerlei Hinweise, dass da jemand wohnte.«
»Wisst Ihr, wem das Haus gehört?«
»Es war auf eine Kapitalgesellschaft zugelassen. Irgendwas Chinesisches. Steht in meinen Unterlagen. Ich gebe es dir durch. Und das hier werde ich unter der Hand überprüfen.« Sie nahm die Plastikbeutel vom Tisch und sah mich durchdringend an. »Obwohl ich dich eigentlich einbuchten müsste, weil du mich so nervst. Das dauert mindestens einen Monat. Das Labor kommt mit der Arbeit nicht hinterher. Lass dich hier nie wieder blicken. Du siehst übrigens scheiße aus.«
Sie verließ das Zimmer mit den Beuteln.
»Danke«, rief ich hinter ihr her.
»Du musst mal jemanden auf deine rechte Hand gucken lassen«, rief sie aus den Tiefen ihres Hauses. »Da steckt irgendwas drin. Sonst gibt das eine Staphylokokkeninfektion.«
Ich wusste nicht, wovon sie redete, doch dann sah ich mir meine Hand an. Sie hatte absolut recht. Die rote Schwellung hatte sich verschlimmert. Was ich für eine Dreckkruste gehalten hatte, schien ein Splitter zu sein, der tief in der Haut meines Daumens steckte. Bei dem Anblick packte mich die Paranoia.
Hatten diese Figuren in den schwarzen Umhängen mich markiert? Mich mit einem weiteren Fluch belegt? War das ein vergifteter Pfeil? Ein verrosteter, Tetanus übertragender Nagel?
Ich musste nach Hause. »Wie kann ich mich erkenntlich zeigen?«, rief ich nach einer Pause, als mir klarwurde, dass Sharon, die jetzt mit etwas anderem beschäftigt war, nicht ins Wohnzimmer zurückkehren würde. »Kann ich dir einen neuen Schäferhund besorgen, eine Yacht oder eine Insel im Südpazifik?«
»Du kannst aus meinem Haus verschwinden«, rief sie von irgendwoher.
100
Als ich zurück in Manhattan war, hielt ich bei der Notfallklinik in der 13 th Street an. Das Wartezimmer war voll und es dauerte fast drei Stunden, bis ich an der Reihe war. Ich erklärte dem Arzt, dass ich gerade von einem Campingausflug zurückgekehrt sei.
»Das sieht man«, stellte er gutgelaunt fest und zog den Vorhang zu. Er war ein aufgeweckter, schnell sprechender junger Mann mit der Energie einer Überdosis Koffein, dem ein Stück Tesafilm hinten am weißen Kittel klebte. »Sie haben
Kontaktdermatitis
. Sind Sie längere Zeit durch dichtes Pflanzengestrüpp gewandert? Sieht so aus, als wären Sie mit etwas in Kontakt gekommen, auf das Sie allergisch reagieren.«
Ich wollte gerade klarstellen, dass ich nur in den Adirondacks gewesen war – als mir auffiel, dass das gar nicht stimmte. Was war mit dem Swimmingpool? Vielleicht verweste darin seit Monaten ein Tier.
Und das Gewächshaus der Familie Reinhart?
»Welche Sorten Pflanzen waren in dem Gewächshaus?«, fragte der Arzt, als ich ihm meine Gedanken in groben Zügen geschildert hatte.
»Eine hieß
Mad Seeds
. An die anderen kann ich mich nicht erinnern.«
»Mad Seeds«,
wiederholte der Arzt und neigte den Kopf. Er schien zu denken,
Und Sie sind nicht gleich schreiend davongerannt?
»Außerdem habe ich mir noch was eingefangen, einen üblen Splitter.«
Ich zeigte ihm den Daumen. Minuten später reinigte eine Krankenschwester meine Hand mit Wasser und einem Desinfektionsmittel und der Arzt schnitt mir mit einem Skalpell in die Hand. Weißlicher Eiter floss aus der Wunde, während er das, was darin steckte, mit einer langen Pinzette packte und herauszog. Als ich sah, was es war, verschlug es mir die Sprache. Der Arzt warf es auf den Stahltisch neben uns.
»Das muss ja ein heftiger Campingausflug gewesen sein«, sagte er lächelnd. »Vielleicht fahren Sie nächstes Mal lieber ans Meer.«
Es war ein schwarzer Dorn irgendeiner Pflanze, doch mein erster Gedanke war,
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