Die amerikanische Nacht
sein, alles zu veröffentlichen und mit Ashley Geld zu verdienen, zu deinem eigenen Nutzen, genau wie Hopper gesagt hat.«
Diese Bemerkung ließ ich an mir vorbeifliegen wie eine Handgranate, die Zentimeter von meinem Kopf entfernt explodierte. Sie hörte nicht auf, durch den Raum zu rennen, wie ein Insekt mit zehntausend Augen, sie faltete, verstaute und packte alles ein.
»Die Recherche ist noch nicht vorbei«, sagte ich. »Du gibst ganz kurz vor der
Endzone
auf, viertes Viertel, fünf Sekunden zu spielen, drittes
Down
.«
Sie sah mich böse an. »Du verstehst es immer noch nicht.«
»
Was
verstehe ich nicht? Es würde mich faszinieren, das zu erfahren.«
»Du verstehst nicht, dass Ashley niemals zugelassen hätte, dass Cordova irgendwem weh tut. Ich vertraue ihr. Hopper tut das auch. Du vertraust offensichtlich niemandem. Hier hast du deinen Mantel zurück.« Sie riss Cynthias schwarzen Mantel brutal von einem der Kleiderbügel und warf ihn aufs Bett. Er rutschte auf den Boden. Ich hatte ihn ihr vor Wochen gegeben, damit sie bei unserem Besuch bei Olivia Endicott etwas ohne Federn anziehen konnte. Er hatte ihr sehr gut gefallen. Sie hatte freudig verkündet, dass er ihr das Gefühl verlieh,
französisch
zu sein, was auch immer das heißen sollte.
»Den hab ich dir geschenkt«, sagte ich.
Sie zog den Mantel an, trat vor Sams Sesamstraßen-Spiegel und nahm sich sehr viel Zeit, sich einen hellgrünen Schal um den Hals zu drapieren. Dann nahm sie einen schwarzen Filzhut vom Bettpfosten und setzte ihn sich vorsichtig auf den Kopf, wie eine Königin, die sich selbst krönte. Ich folgte ihr irgendwie benommen nach unten. Sie stellte ihre Tüten ab und schritt über den Flur zu meinem Büro. Sie hatte Septimus aus der Tierpension abgeholt. Jetzt hockte sie sich neben seinen Käfig.
»Als Oma Eli mir Septimus gab, verriet sie mir auch, wie man mit ihm umgehen muss«, sagte sie. »Man muss ihn an jemanden weitergeben, der ihn braucht. Das ist Teil seiner Magie. Man erkennt automatisch, wann der richtige Zeitpunkt ist, nämlich dann, wenn es am meisten weh tut. Ich will, dass du ihn bekommst.«
»Ich will keinen Vogel.«
»Du
brauchst
einen Vogel.«
Sie öffnete die Käfigtür, und der blaue Wellensittich flatterte in ihre Hand. Sie flüsterte etwas in sein unsichtbares Ohr, setzte ihn zurück auf seine Schaukel und schlüpfte an mir vorbei in den Flur. Erst auf der Vortreppe des Hauses hielt sie an.
»Ich komme mit dir. Ich rede mal mit der Hippie-Frau. Ich will sichergehen, dass sie nicht bei der
Symbionese Liberation Army
war …«
»Nein. Ich komme allein klar.«
»Und das war’s? Jetzt sehe ich dich nie wieder?«
Sie zog ihre Nase kraus, als hätte ich etwas Idiotisches gesagt. »Klar siehst du mich wieder.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und umarmte mich. Das Mädchen gab die allerbesten Umarmungen – ihre dünnen Arme schlossen sich wie Kabelbinder um meinen Hals, ihre knochigen Knie stießen gegen meine. Es war, als wolle sie einen unauslöschlichen Eindruck gewinnen, den sie für immer bei sich tragen konnte.
Sie nahm ihre Tüten und ging die Stufen hinab.
Ich wartete, bis sie um die Ecke verschwunden war, und folgte ihr. Ich wusste, dass sie mich umbringen würde, wenn sie mich entdeckte, doch zum Glück waren die Gehsteige voll mit shoppenden Menschen, so dass ich mich versteckt halten und ihr bis zu einer Subway-Station folgen konnte. Dort hüpfte sie in einen 4 -Train, anschließend in die 6 , und stieg am Astor Place aus.
Als wir die brechend volle Station verließen, verlor ich sie aus den Augen. Ich suchte überall und geriet in Panik, ich hatte Angst, dass es das jetzt gewesen sei, dass ich nie erfahren würde, wie es ihr ergehen würde, und ob sie in Sicherheit war – Bernstein, die kostbare Goldmünze, die ich nicht festhalten konnte und die jetzt in den New Yorker Millionen verschwand.
Doch dann sah ich sie. Sie war auf die andere Straßenseite von Saint Mark’s Place gewechselt und lief mit ihrem typischen Korkenziehergang an der Pizzeria und den Zeitschriftenständern vorbei. Ich folgte ihr die East Ninth entlang, bis sie zu einem kleinen dreieckigen Garten kam, genau dort, wo die Straße die Tenth kreuzte. Sie lief die Treppe eines heruntergekommenen Brownstone-Gebäudes hinauf. Ich hielt mich im Hintergrund und schlüpfte in einen Hauseingang auf der anderen Straßenseite.
Nora stellte ihre Tüten ab und klingelte.
Während ich ihr gefolgt war, hatte ich mir
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