Die amerikanische Nacht
Dschungel ab, in den ich auf Ashleys Spuren gewandert war. Jetzt sah ich, dass ich eigentlich auf plattem, trockenem Boden stand, der blendend hell erleuchtet, aber karg war.
110
»Die Sache mit Ihnen fing an, weil sie wieder krank war«, sagte Gallo mit offensichtlicher Verachtung in der Stimme.
Ich leerte meinen Drink und spürte, wie der Whiskey brennend meine raue Kehle hinunterlief.
»Wieso das?«, brummte ich.
Sie sah mich gereizt an. »Habe ich doch gesagt. Ashley war ein charismatisches Mädchen. Dank ihrer schöpferischen Erziehung, ihres abgeschiedenen Lebens in The Peak, ihrer Krankheit, hatte sie Schwierigkeiten, zwischen erfundenen Geschichten und dem echten Leben zu unterscheiden. Als Ashley zehn war, beging Astrid den Fehler, einen Medizinmann aus Haiti einzuladen, damit er vier Monate bei ihnen wohnte, nur so zum Spaß. Ihr war nicht klar, dass das Ashleys Vorstellungskraft vollständig von der Realität abtrennen würde. Als würde man über einen Strand mit schlafenden Flamingos laufen und jeden von ihnen an einen anderen Platz setzen. Auf einmal tobte, schrie und bewegte sich in Ashleys Kopf alles, alles war voller rosa Federn und Kreischen und Flügelschlagen. Sie fing an, an das alles zu glauben, Voodoo. Hexerei.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich fand in meinem eigenen Zimmer Zauber, die sie für mich ausgelegt hatte. Zum Schutz vor dem Bösen, behauptete sie jedenfalls. Sie war sicher, dass sie von etwas Bösem markiert worden war, dass der Teufel ihre Krankheit ausgelöst hatte. Es brach einem das Herz. Und es war wie ein Wahn. Ashley hatte entsetzliche Angst, den Leuten nahezukommen, die ihr etwas bedeuteten, weil sie glaubte, ihnen Schaden zuzufügen. Sie behauptete, dass diese Dunkelheit, die in ihr heranwuchs, durch ihr – ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll, dadurch, dass der Teufel langsam Besitz von ihrer Seele ergriff – dass sie das gefährlich machte.
Tödlich.
Der Gedanke war natürlich absurd.«
Gallo seufzte. »Als wir vor sechs Monaten erfuhren, dass sie wieder krank war, wurde sie seelisch sehr labil. Es gab Zeiten, in denen sie nicht wusste, wo sie war. Oder
wer
sie war. Das war nicht ihre Schuld, wenn man sich überlegt, was sie als Kind durchgemacht hatte, als sie immer wieder mit dem Tod kämpfen musste. Sie machte uns unmissverständlich klar, dass sie nicht mehr in einem Krankenhausbett liegen wollte, verkabelt und zwischen Monitoren, schwach vor Morphium. Astrid weigerte sich, das zu akzeptieren. Sie brachte Ashley gegen ihren Willen in eine Klinik, weil sie hoffte, dass sie dort zur Vernunft kommen und sich zur nächsten Behandlung bereit erklären würde.«
»Und diese Klinik war Briarwood Hall.«
Gallo nickte. »Sie flüchtete von dort, wie Sie wissen, durch die Hilfe eines geilen Schwachkopfes, der beim Sicherheitsdienst arbeitete. Ashley war eine Meisterin der Manipulation, vor allem bei Männern. Die schmolzen und schwitzten und wurden ganz schwach, wenn sie vor ihr standen, wie ein Eisblock in der Wüste. Sie verschwand von der Bildfläche. Es war für uns alle entsetzlich. Wir hatten keine Ahnung, wo sie war. Theo und Boris suchten überall nach ihr, aber sie war schlau. Sie wusste, wie man unsichtbar bleibt. Später fanden wir heraus, dass sie sich in einer Bruchbude in der Lower East Side eingemietet hatte.«
» 83 Henry Street.«
»Astrid drehte durch vor Sorge. Inzwischen war Ashley sehr krank. Astrid wollte, dass sie zu Hause starb, bei ihrer Familie. Aber es gab ein paar Hinweise darauf, wo sie sein könnte. Es verging kein Tag, an dem sie nicht an diesen Jungen dachte.
Hopper.
Sie hatte die ganzen Jahre lang verfolgt, was er machte, wusste, dass er mit dem Gesetz in Konflikt geraten war und sein Leben verpfuschte. Wir dachten uns, dass sie ihn irgendwie kontaktieren würde. Die andere Möglichkeit waren natürlich
Sie
.«
»Ich?«
»Sie hat sich für Sie interessiert, seitdem ihr Vater Ihr Herumschnüffeln in seinem Leben auf die einzige Art und Weise erledigt hatte, die er kannte. Indem er Feuer mit Feuer bekämpfte.«
»
Erledigt
? So hat Cordova das genannt?«
Sie sah mich kurz herausfordernd an, sagte aber nichts.
»War es eine Falle? Wer zur Hölle war der Mann, der mich damals kontaktiert hat?
John.
«
Sie zuckte mit den Schultern. »Jemand, der dafür bezahlt wurde, Sie in die Irre zu führen.«
»Aber das, was er mir erzählt hat, dass Cordova nachts zu den Schulen gefahren ist …«
»Das war komplett erfunden. Und
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