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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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gerade aufreizend genug, dass Sie es nicht für sich behalten konnten und sich durch Ihre eigene Hybris einen Strick gedreht haben. Das war sicher eine schmerzhafte Lektion für Sie, Mr McGrath, aber ein Künstler wie er braucht nur eine essentielle Sache, um erfolgreich zu sein. Und dafür würde er alles tun.«
    »Und welche?«
    »
Dunkelheit.
Ich weiß, heute ist es schwer nachzuvollziehen, aber ein echter Künstler braucht die Dunkelheit, um etwas erschaffen zu können. Sie gibt ihm Macht. Seine Unsichtbarkeit. Je weniger die Welt über ihn weiß, wo er sich aufhält, woher er kommt und was seine geheimen Methoden sind, desto mehr Kraft hat er. Je mehr Nichtigkeiten die Welt über ihn schluckt, desto kleiner und trockener ist seine Kunst, bis sie schrumpft und zu etwas zusammenschrumpelt, das man in einer Schüssel mit Milch zum Frühstück isst. Haben Sie wirklich geglaubt, dass er das zulassen würde?«
    Als sie dies sagte, meldete sich ihre immer noch sehr präsente Verehrung Cordovas in ihrer Stimme, warf sie hoch in die Luft, ließ sie in Achten wieder herabschießen, wilde rote Bänder hinter sich herziehend – ihre Stimme, die sonst so schlapp war und wie ein Häufchen Elend am Boden lag. Außerdem war mir aufgefallen, dass Inez Gallo während unserer gesamten Unterhaltung nicht einmal das Wort
Cordova
gesagt hatte – sie sprach von ihm immer nur als
er
oder
Ashleys Vater
.
    Das musste an ihrem persönlichen Aberglauben liegen, oder sie wollte das Wort nicht einfach so dahersagen, als hätte er Ähnlichkeit mit Gott.
    Während sie aufstand, zur Bar hinüberging, mit der Whiskeyflasche zurückkam und uns hastig die Gläser füllte, dachte ich über das nach, was sie gesagt hatte. Wenn es keinen Teufelsfluch gab, hatte Cordova keinen Grund, verzweifelt einen Tausch zu versuchen, keinen Grund, nachts zu den Schulen zu fahren, dann gab es keinen Graben voller Kindersachen.
Hatte ich doch halluziniert, wegen der
Mad Seeds?
    »Ashley war eine Naturgewalt. Um sie zu verstehen«, sagte Gallo, während sie sich auf dem Sofa zurücklehnte und den Drink fest umklammert hielt, »müssen Sie sehen, dass sie die Tochter ihres Vaters war. Das Lieblingsmärchen der Familie war
Rumpelstilzchen
. Und genau das taten sie, das waren sie, Phantasiewesen, die das gewöhnliche, langweilige Stroh um sie herum zu Gold spinnen. Sie hören nicht auf, bis sie tot sind. Und so hat Ashley ihre Krankheit als Teufelsfluch gewertet.«
    »Aber nicht nur Ashley hat daran geglaubt. Marlowe Hughes und Hugo Villarde waren genauso überzeugt davon.«
    Sie sah mich verächtlich an. »Marlowe Hughes ist drogenabhängig. Die würde glauben, dass der Himmel aus rosa Punkten besteht, wenn Sie es ihr sagen würden. Vor allem, wenn Sie das in einem Fanbrief schreiben würden. Sie hat Zeit mit Ashley verbracht. Wurde in ihre Geschichten hineingezogen. Und Villarde? Nach dem, was Ashley ihm angetan hat? Der Mann ist durchgedreht. Er hielt sie für die Braut des Teufels, hat beim Anblick eines Flohs angefangen zu zittern.«
    Ich musste daran denken, dass Villarde ohne jede Scham beschrieben hatte, wie er auf allen vieren durch seinen Laden gekrochen war, um sich vor Ashley zu verstecken, und wie ein ängstliches Kind im Schrank gekauert hatte.
    »Wie hat Cordova gearbeitet?«, fragte ich. »Die Schrecken auf der Leinwand – die waren echt, oder? Die Schauspieler haben es nicht gespielt.«
    Sie musterte mich herausfordernd. »Sie haben es nicht anders gewollt.«
    »Dasselbe habe ich schon Serienmörder sagen hören.«
    »Wer nach The Peak kam, wusste sehr genau, was ihn erwartete. Die wollten
unbedingt
mit ihm arbeiten. Aber wenn Sie mich fragen, ob er je die Grenze zum reinen Wahnsinn überschritten hat, ob er kopfüber in die Hölle gesprungen ist – das hat er nicht getan. Er wusste, wie weit er gehen konnte.«
    »Wie weit war das?«
    Sie kniff die Augen zusammen. »Er ist kein Mörder. Er liebt das Leben. Aber glauben Sie, was Sie wollen. Sie werden nie Beweise finden.«
    Sie werden nie Beweise finden.
Das war eine seltsame Aussage. Sie klang fast wie ein Geständnis –
fast
. Ich dachte an das verschrumpelte Kinderhemd, das nicht mit Blut verkrustet war, sondern laut Falcone mit Maissirup. Das, was Gallo sagte, bestätigte die Ergebnisse, die mir Sharon genannt hatte, ob ich daran glauben wollte oder nicht.
    »Warum sind alle verschwunden, mit denen ich über Ashley gesprochen habe?«
    »Um die habe ich mich gekümmert«, sagte Gallo mit

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