Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
Vom Netzwerk:
deutlichem Stolz.
    »Was heißt das? Sind die alle in einem anonymen Grab verscharrt?«
    Sie ignorierte das und setzte sich gerade auf. »Ich habe mich außerdem um die Fotos von Ashleys Leichnam aus der Gerichtsmedizin gekümmert und um den Leichnam selbst – bevor man sie wie eine Laborratte vor fremden Leuten aufschneiden konnte. Ich habe alle großzügig bezahlt und sie ihres Weges geschickt.«
    »Woher wussten Sie, mit wem ich geredet habe?«
    Sie sah mich überrascht an. »Na, aus Ihren
eigenen Aufzeichnungen
, Mr McGrath. Sie erinnern sich doch an den Einbruch in Ihre Wohnung. Sie haben uns sehr geholfen, ein paar offene Fragen zu beantworten.«
    Natürlich: der Einbruch.
    »Wir waren verzweifelt«, fuhr sie fort. »Wir wussten nicht, wo Ashley hingegangen war und was seit ihrem Verschwinden aus Briarwood bis zu ihrem Tod in dem Lagerhaus mit ihr geschehen war. Wir wussten nur, dass sie eines Nachts hier eingebrochen war und Geld aus dem Safe genommen hatte. Ich hatte die Vermutung, dass Sie etwas darüber wussten. Schließlich hatte uns Briarwood informiert, dass Sie dort herumgeschnüffelt hatten. Wir sind bei Ihnen eingebrochen, um herauszufinden, was Sie wussten.«
    »Kann ich vielleicht meinen Laptop zurückhaben?«
    »Es war nicht billig, nach ihrem Tod alle Zeugen loszuwerden. Aber das ist Teil des Versprechens, das wir ihr gegeben hatten, niemals jemanden die Wahrheit erfahren zu lassen. So wollte
er
es. Ashleys Geschichte wird jetzt für immer dort bleiben, wo sie sie haben wollte, wo sie sie tief in ihrem Herzen immer schon glaubte zu haben – jenseits der Vernunft, zwischen Himmel und Erde, Boden und Luft, viel näher an den Sagen als am gewöhnlichen Leben –, dem gewöhnlichen Leben, in dem der Rest von uns, und auch
Sie
, Mr McGrath, ausharren muss.«
    »Wo die Meerjungfrauen singen«, fügte ich leise hinzu, weil ich an das Prufrock-Gedicht denken musste. So wie Hopper es erklärt hatte, waren die Meerjungfrauen das, wonach die Familie immerzu suchte, wofür sie immer kämpfte – das Atemberaubende und Gefährliche im Leben.
Wo es Gefahren und Schönheit und Licht gibt. Nur
das Jetzt
zählt. Ashley sagte, das sei die einzige Art zu leben.
    Ich merkte, dass Inez Gallo mich mit offenem Mund anstarrte – offenbar war sie überrascht, dass ich ein so persönliches Detail über die Familie kannte. Sie entschied aber, der Sache nicht weiter nachzugehen und nahm einen Schluck von ihrem Drink.
    »Marlowe Hughes hatte eine Überdosis«, sagte ich. »Hatten Sie was damit zu tun?«
    »Ich habe ihren Dealer gebeten, ihr ein bisschen Angst einzujagen. Ich dachte nicht, dass er sie fast um die Ecke bringen würde.«
    »Ihr Mitgefühl ist sehr ergreifend.«
    Sie blitzte mich an. »Das war das Beste, was passieren konnte. Auf die Weise ist sie aus der Wohnung rausgekommen. Jetzt sitzt sie im
Promises
-Zentrum in Malibu in einer Suite mit Meerblick und erklimmt die sehr hohe, sehr ausgetretene erste Stufe des zwölfstufigen Abstinenzprogramms.«
    »Und was haben Sie Olivia Endicott erzählt?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Nichts. Sie ist im Ausland. Aber ich habe mit ihrer Sekretärin gesprochen. Ich habe dem Mädchen ein kleines Vermögen gezahlt, damit sie Sie wie die Pest meidet und Ihre Nachrichten nicht an ihre Chefin weiterleitet.«
    »Und Morgan Devold? Warum ist sein Haus abgebrannt?«
    »Er brauchte das Geld von der Versicherung. Er war in großen finanziellen Schwierigkeiten, zwei Kinder, kein Job. Er war sehr aufgeschlossen, als ich ihm erklärte, wer ich war und dass ich gekommen war, um ihm unter die Arme zu greifen. Wenn Sie ihn je wieder kontaktieren, wird er schwören, Sie oder Ashley noch nie in seinem Leben gesehen zu haben.« Sie reckte mir selbstzufrieden ihr Kinn entgegen. »In dieser Welt hat jeder seinen Preis, Mr McGrath. Auch
Sie

    »Falsch. Manche von uns lassen sich nicht kaufen. Wer hat das Haus angesteckt?«
    »Theo und Boris. Boris ist ein alter Freund der Familie.«
    »Und wer raucht Murad Zigaretten?«
    Die Frage irritierte sie sichtlich. »Theo. Es war die Lieblingsmarke seines Vaters.«
    Wieder sprach sie ganz bewusst von
seinem Vater
, nicht einfach von
Cordova
. Sie nahm diese Umwege in Kauf, um eine bestimmte, gefährliche Wegstrecke zu vermeiden.
    »Er hat vor Jahren den Weltvorrat aufgekauft.
Murad.
Die Marke gibt es schon seit Mitte der dreißiger Jahre nicht mehr. Sie war sehr selten. Aber er hat jedem obskuren Tabaksammler auf der Welt jedes einzelne

Weitere Kostenlose Bücher