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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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blieb direkt hinter ihr. Sie hielt an und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf die Treppe nach oben – der Weg war durch ein Metalltor versperrt, auf einem Schild stand NUR FÜR AUTORISIERTES PERSONAL . Dann drehte sie um und stapfte die Treppe hinab. Im Erdgeschoss schossen wir aus dem Treppenhaus und rammten einen Mann, der einen Stapel Akten trug. Sweeties Pfoten rutschten in den scharfen Kurven über den glatten Holzfußboden. Wir folgten Poole in ein Büro mit der Aufschrift DROGEN UND ALKOHOL  – VERLÄNGERUNGSPROGRAMM .
    »Beth, hast du eine 5 – 46 herumlaufen sehen? Dünn und blond? Mikro-Mini? Gretchenfrisur?« Sie beäugte mich eisig. »Und
Federn

    »Nein, Liz.«
    Poole marschierte vor sich hin murmelnd den Flur entlang.
    »Was ist eine 5 – 46 ?«, fragte ich.
    »Eine
Potentielle
. Ich muss die Überwachungsbänder durchsehen. Sie läuft gerne davon, oder? Irgendeine Idee, wo sie sein könnte?«
    »Wenn sie es bis zur Straße schafft, versucht sie es vielleicht per Anhalter.«
    »Solange sie keine Flügel hat und über einen zehn Meter Elektrozaun fliegen kann, geht das Mädchen nirgendwo hin.«
    »Das tut mir alles schrecklich leid.«
    Wir verließen das Gebäude durch die Glastür. Auf der anderen Seite der Rasenfläche strömten Patienten – nicht wenige begleitet von Pflegern – die Fußwege entlang zum Mittagessen. Von Nora keine Spur. Bei ihrer Aufmachung wäre sie sofort aufgefallen. Ich hatte keine Ahnung, wo sie war; dies war keiner meiner Befehle an sie. Sie operierte auf eigene Faust.
    Eine Minute später setzte mich Poole auf das geblümte Sofa in ihrem Büro.
    »Sie warten hier«, sagte sie. »Ich bin gleich wieder da, mit Ihrer Tochter.«
    »Vielen Dank.«
    Sie starrte mich nur zornig an und knallte die Tür hinter sich zu.

16
    Ich war mit Sweetie allein. Die Hündin war zu ihrem Liegekissen bei den Topfpflanzen gelaufen und mit einem quietschenden Hotdog zurückgekehrt.
    Zum zweiten Mal schrillte das Läuten aus den Lautsprechern.
    Ich betrachtete die Decke.
Keine Kameras zu sehen.
    Ich stand auf und ging zu Pooles Schreibtisch.
    Auf dem Monitor war ein Bildschirmschoner aktiviert. Natürlich schwebten Fotos von Sweetie durchs Bild, doch ab und an war im Hintergrund ein dünner, verwirrt wirkender Mann mit Glatze zu sehen.
Mr Poole.
    Ich drückte eine Taste und wurde aufgefordert, ein Passwort einzugeben.
    Ich versuchte es mit »sweetie«. Das war es nicht.
    In einer Ecke des Schreibtisches waren Unterlagen in Ablagekörben mit der Aufschrift EINGANG und AUSGANG gestapelt. Ich blätterte sie durch: Dankesschreiben, Aufnahmeanträge, eine Vertraulichkeitserklärung, eine E-Mail, in der ein Dr. Robert Paul seine Pensionierung bekanntgab. Da musste doch irgendeine Form von interner Verwaltungsnotiz über Ashley Cordova dabei sein. Von einem Klinikleiter geschrieben mit Phrasen wie
Dies ist eine äußerst heikle Angelegenheit
und
Es ist von entscheidender Bedeutung für das Ansehen dieser Klinik
und so weiter.
    Ich öffnete die Schreibtischschubladen.
    Sie waren voll mit Büromaterial, einem Katalog für teure Einrichtungsgegenstände, dazwischen einzelne Pfefferminzbonbons. Ich ging hinüber zu den Aktenschränken, die an der hinteren Wand aufgereiht waren. Sie waren verschlossen und die Schlüssel nicht zu sehen.
    Ich ging zurück zur Tür, öffnete sie und sah mich um.
    Der Flur war leer, bis auf zwei Pflegerinnen, die vor dem Hauptausgang standen.
    Nora sorgt eh gerade dafür, dass ich hier rausfliege. Da kann ich genauso gut wie ein Kamikaze-Pilot untergehen.
Auf einmal lag Sweetie auf meinem Fuß und nagte an ihrem Hotdog. Eine der Pflegerinnen hörte auf zu reden und blickte neugierig in unsere Richtung.
    Ich bückte mich und warf das Spielzeug durch den Raum – es blieb in den Blättern eines gewaltigen Ziermaises hängen, der vorm Fenster stand; Sweetie würde den Stamm einen knappen Meter hochlaufen müssen, um heranzukommen – und sah noch einmal draußen nach.
    Die Pflegerinnen unterhielten sich leise weiter. Ich schlüpfte aus dem Büro und schloss die Tür hinter mir. Ich ging durch den Nebeneingang direkt nach draußen.
    Dann machte ich mich auf den Weg zum Straffen Haus.
    Das Gelände war jetzt wieder ruhig, nur ein paar Nachzügler waren noch unterwegs zum Speisesaal. Ich ging schnell über die Rasenfläche und die Vortreppe hinauf, wo Patienten sich unterhielten und rauchten. Sie sahen mich nur träge an, als ich in das Gebäude hineinging und

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