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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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ihrem Schreibtisch hervorklimperte, auf ihre schneeweiße, langhaarige, mit rosa Haarspangen ausstaffierte Malteserdame Sweetie, die wie ein winziger Thanksgiving-Festzugswagen durch ihr Büro schwebte – und sofort wollte ich unseren Plan abblasen.
    Noch viel schlimmer machte alles Noras Schauspieltalent – oder vielmehr ihr erschreckender Mangel an Talent.
    Als wir Platz genommen hatten, hatte ich erklärt, dass meine Tochter Lisa Probleme mit der Disziplin hatte. Nora hatte das Gesicht verzogen und zu Boden gestarrt. Ich war mir sicher, dass die vielen strengen, vielsagenden Blicke, die Poole mir zuwarf, nicht mitfühlend gemeint waren, sondern unterkühlt vorwurfsvoll, als wüsste sie, dass meine Tochter nicht echt war. Doch gerade, als ich glaubte, sie würde uns auffordern, das Grundstück zu verlassen, hatte Poole – und die hechelnde, glitzernde Sweetie – mit ihrer Führung begonnen. Wir waren ihr aus dem Dycon-Haus und über das ausgedehnte Gelände von Briarwood gefolgt.
    »Welche Sicherheitsvorkehrungen gibt es hier?«, fragte ich sie jetzt.
    Poole verlangsamte ihr Tempo, um sich Nora, die den Fußweg anstierte, genauer anzusehen (der Blick, mit dem Sue Ellen in der gesamten zwölften Staffel von »Dallas« Miss Ellie ansah).
    »Die Einzelheiten können wir später noch unter vier Augen klären«, sagte Poole. »Aber kurz gesagt wird jeder Patient einer Aufsichtsstufe zugeteilt. Das geht von Standardüberwachung, bei der das Personal rund um die Uhr alle dreißig Minuten nach den Patienten sieht, bis zur Dauerüberwachung, bei der der Patient jederzeit auf Armeslänge von geschultem Fachpersonal bleiben muss und nur einen Löffel zum Essen bekommt. Wenn sie zu uns kommt, wird Lisa beurteilt und der passenden Stufe zugeordnet werden.«
    »Ist es in letzter Zeit vorgekommen, dass jemand geflüchtet ist?«, fragte ich.
    Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet.
»Geflüchtet?«
    »Verzeihung. Das soll nicht nach Alcatraz klingen. Es ist nur so, wenn Lisa eine Gelegenheit dazu hat, dann rennt sie weg.«
    Poole nickte. Wenn sie das an Ashley Cordovas Ausbruch erinnerte, ließ sie es sich nicht anmerken.
    »Wir haben hier 180 000 Quadrameter«, sagte sie. »Das Gelände ist eingezäunt und durch Videoüberwachung gesichert. Eine 24 -Stunden-Wache am Haupteingang kontrolliert jedes Fahrzeug, das ankommt oder wegfährt.« Sie lächelte dünn. »Die Sicherheit der Patienten hat bei uns oberste Priorität.«
    Das war also die offizielle Position zu Ashleys Flucht:
Sie war nie passiert.
    »Das Lustige ist ja«, fuhr sie fort, »wenn sich die Leute erst einmal hier eingelebt haben, ist es schwieriger, sie zum Gehen zu bewegen als zum Bleiben. Briarwood ist eine Zufluchtsstätte. Brutal ist die echte Welt.«
    »Das kann ich verstehen. Es ist sehr schön hier.«
    »Ja, oder?«
    Ich lächelte zustimmend.
So schön wie eine Injektion Morphin.
    Eine große, makellose Rasenfläche erstreckte sich in beide Richtungen – glatt, flach und erbarmungslos grün. Rechts von uns stand eine massive Eiche, mit einer leeren schwarzen Bank darunter. Es sah aus wie das Motiv auf einer Kondolenzkarte. Das Gelände war auf unheimliche Weise menschenleer, bis auf vereinzelte lächelnde Pflegerinnen, die an uns vorbeiliefen, in lila Hosen und mit dazu passenden, fröhlich-gemusterten Hemden –
das sollte die Patienten offensichtlich ablenken, wenn ihnen die Medikamente eingeflößt wurden.
Etwas weiter weg eilte ein glatzköpfiger Mann zielstrebig zwischen zwei Backsteingebäuden entlang.
    Poole hatte erklärt, dass zu dieser Uhrzeit gerade jeder in der
Klinik
 –
Klinik
schien die freundliche Umschreibung für Psychiatrie zu sein – an Verhaltenstherapiesitzungen teilnahm, doch die gesamte Anlage wirkte unheimlich, wie mundtot gemacht. Es hätte mich nicht überrascht, wenn jeden Moment der gequälte Schrei eines Mannes das Vogelgezwitscher und die sanfte Brise durchschnitten hätte. Oder wenn eine Tür aufgerissen worden wäre – eine Tür zu einem der Gebäude, die Poole auf ihrer Führung ausdrücklich ausgelassen hatte; »nur weitere Wohnheime«, hatte sie auf meine Nachfrage hin geantwortet – und ein Patient im weißen Schlafanzug herausgelaufen wäre und versucht hätte zu entkommen, bevor ihn ein Pfleger zu Fall gebracht, zu seiner Elektrokonvulsionstherapie geschleppt und die Landschaft in erstarrter Ruhe zurückgelassen hätte.
    »Wie viele Patienten haben Sie?«, fragte ich mit einem Blick auf Nora.
    Sie

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