Die amerikanische Nacht
sagte ich. »Französischer Name. Es könnte in einem alten Gefängnis oder einem leerstehenden Gebäude sein. Läutet da was?«
Ich stand vor dem Gitane, einem stimmungsvollen, kleinen französisch-marokkanischen Café in der Mott Street, und telefonierte mit Sharon Falcone. Wir hatten nach unserem Besuch in der 83 Henry Street ein Taxi genommen und waren hierhergekommen, um etwas zu essen und uns zu besprechen. Weil eine Google-Suche nach
Club, Long Island, Französisch
und
ehemaliges Gefängnis
nicht zum Durchbruch geführt hatte, hatte ich beschlossen, Sharon anzurufen, für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie den Club kannte.
»Sag nicht, dass du mich belästigst, weil du Tipps für dein Sozialleben brauchst«, sagte Falcone am anderen Ende.
Ich konnte Telefone schrill klingeln hören, aus einem Fernseher dröhnte New York One, was bedeutete, dass sie noch an ihrem Schreibtisch auf der Polizeiwache war. Sie saß bestimmt auf ihrem ausgeleierten Drehstuhl und ging mit der Brille auf der Nasenspitze die Details eines Falles durch, den ihre Kollegen schon lange aufgegeben hatten.
»Nicht ganz«, sagte ich. »Das ist eine Spur.«
»Ich kenne Long Island genauso gut wie meine eigene Küche. Ich weiß, dass ich mich da wohl fühlen kann, aber irgendwie schaffe ich es nie hin. Ich kann dir nicht helfen. Darf ich jetzt weiterarbeiten?«
»Wie sieht’s in der Stadt mit okkulter Gottesverehrung aus? Wie verbreitet ist so was?«
»Gilt die Verehrung von Geld als okkult?«
»Ich meine seltsame Praktiken, Rituale. Wie oft begegnet dir so was an einem Tatort? Würde es dich überraschen?«
»
McGrath.
Ich habe hier Messerstechereien. Ich habe Schussverletzungen. Ich habe einen reichen Jungen, der seiner Mutter ein Messer in den Hals gerammt hat, ein sechs Monate altes Baby, das zu Tode geschüttelt wurde und einen Mann, der im Hotel Intercontinental am Times Square kastriert wurde.
Klar
gibt es Okkultismus. Hier gibt es alles. Auch wenn an jeder Ecke ein Starbucks ist und ein iPhone an jedem Ohr, sind die Leute immer noch komplett verrückt, keine Sorge. Sonst noch was?«
Ich wollte gerade
Nein
sagen und mich für die Störung entschuldigen, als mir doch noch etwas einfiel.
»Ich habe da vielleicht einen Fall für den Kinderschutz.«
Sie antwortete nicht sofort, doch ich konnte praktisch vor mir sehen, wie sie sich abrupt aufsetzte, einen gelben Block aus den Stapeln von Zeugenaussagen und Laborfotos hervorzog und ihre unleserlichen Notizen durchblätterte, bis sie eine leere Seite fand und zum Stift griff.
»Ich höre«, sagte sie.
»Ich war gerade bei einer Frau, die Vormund eines kleinen, taubstummen Jungen ist. Da stimmt irgendwas nicht. Das Haus ist ein Drecksloch und vielleicht ein Puff.«
»Wie lautet die Adresse?«
» 83 Henry Street, zwischen Pike und Market. Die Frau heißt Dot. Sie schmeißt den Laden.«
»Ich schicke jemanden vorbei.«
»Danke. Und wann gehen wir mal was trinken?«
»Sobald es dieser Stadt schön warm ums Herz geworden ist.«
»Also nie?«
»Ich gebe die Hoffnung nicht auf.« Am anderen Ende schrillte ein Telefon. »Ich muss ran …«
Sie hängte auf.
Es war jetzt nach zehn Uhr an einem Freitagabend. Die Gehsteige waren voller Mittzwanziger, die auf dem Weg zu Bars und One-Night-Stands waren. Auf der anderen Straßenseite, an der Stelle, wo die alte, windschiefe Backsteinmauer um die Old St. Patrick’s scharf abknickte, fiel mir ein Mann in einer schwarzen Lederjacke auf, der in sein Handy sprach und seine Hand schützend um den Hörer hielt.
Er starrte
mich
an, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er auch über mich
redete
.
Doch nach einem Augenblick sah er weg und blickte an dem Ralph-Lauren-Store an der Ecke vorbei, während er immer noch in sein Telefon sprach. Ich ging zurück ins Gitane.
Ich war einfach nur paranoid.
39
»Ich habe Hopper gerade erzählt«, sagte Nora, als ich mich neben sie ans Fenster setzte, »dass ich eine Quittung in Ashleys Mülleimer gefunden habe.«
Hopper musterte das kleine gelbe Stück Papier und reichte es mir mit einem skeptischen Blick weiter.
Es war eine handgeschriebene Quittung von
Rising Dragon Tattoos
, 51 West 14 th Street. Jemand – ich nahm an Ashley, obwohl kein Name aufgeführt war – hatte am 5 . Oktober 2011 um 20 : 21 Uhr 363 , 24 Dollar in bar für ein »Amerikanische Flagge/Porträt Tattoo« bezahlt. Ich wusste von den Fotos der Obduktion, dass die Tätowierung an Ashleys rechtem Fußgelenk
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