Die amerikanische Nacht
nicht,
was
es ist«, sagte Nora.
Das hatte Cleo offensichtlich schon oft gehört. Sie zog einen gepolsterten Sessel, der an der Wand stand, zum Tisch herüber. Aus der Sitzfläche rieselte Schaumstoff. Sie setzte sich, wobei sie das eine Bein unter sich faltete und das andere Knie hochstellte und umfasste. In dieser verzerrten Position verharrte sie – es war irgendetwas zwischen einer Yoga-Übung für ganz Fortgeschrittene und einem vertrockneten Insekt, das man auf der Fensterbank findet.
»Worum geht’s?«, sagte sie ein wenig ungeduldig zu Dexter.
Er nahm die Plastikbeutel und mein BlackBerry und zeigte ihr die Hinweise, wie ein Assistenzarzt, der der Spezialistin ein uneindeutiges Kernspinergebnis vorlegt.
»Aber das hier?«, murmelte er und zeigte auf etwas. »Und
hier
? Die Symmetrie habe ich nicht verstanden. Erst dachte ich, es ist
Anvil Dust
oder vielleicht Kaninchenkot. Aber dann
das
. Das habe ich noch nie gesehen …« Er verstummte unsicher. Sie nahm ihm mein Handy ab und kniff die Augen zusammen, während sie einen Ausschnitt von einem der Bilder heranzoomte.
»Jetzt hab ich’s«, sagte sie mit einem Blick auf Dexter. »Du kannst gehen.«
Er nickte, warf uns noch einen letzten Blick zu – darin war aufrichtige Sorge zu sehen – und ging durch den Vorhang zurück in den Laden.
Cleo sah sich das Bild eine weitere Minute lang genau an, ohne uns zu beachten.
Sie nahm die Kräuter und roch daran – der widerliche Gestank schien sie nicht zu stören. Dann untersuchte sie die Wurzeln. Die Feder, die sie sich ins Haar gesteckt hatte, strich an ihrem fetten Kinn entlang, als sie sich über den Tisch beugte.
»Sagen Sie mir, wo Sie das gefunden haben«, sagte sie mit leiser Stimme.
»In einem Zimmer, das ein Freund von uns angemietet hatte«, sagte Nora. »Die Kreise und die Kohle waren unter dem Bett.«
»Wer ist dieser Freund?«
»Das soll anonym bleiben«, sagte ich.
»Mann oder Frau?«
»Frau«, sagte Nora.
»Und wo ist sie?«
»Auch das wollen wir lieber nicht sagen«, sagte ich.
»Wie geht’s ihr?«
»Gut«, antwortete ich. »Wieso?«
Cleo hatte das Bündel Wurzeln genau inspiziert, doch jetzt sah sie mich an. Sie hatte schwarze Augen, die so tief in ihrem runden Gesicht saßen, dass ich das Weiße nicht sehen konnte, nur die schwarze Iris, die trotz der trüben Beleuchtung hell funkelte.
»Auf Ihrer Freundin lastet ein ziemlich schwerer Fluch.«
Sie führte es nicht weiter aus, legte bloß das Bündel ab, lehnte sich zurück und wartete geduldig darauf, dass wir etwas sagten.
Ich starrte sie schweigend an. Nora genauso.
Normalerweise hätte ich eine solche Behauptung als reinen Aberglauben abgetan. Doch irgendetwas an Cleopatra – diese unbedingte Gewissheit – ließ sich nicht so leicht abtun. Zunächst mal sah sie aus wie Konfuzius’ Punk-Schwester. Außerdem sprach sie auf die emotionslos-monotone Weise eines Neurochirurgen.
»Was für ein Fluch?«, fragte ich sie.
»Ich bin nicht sicher«, antwortete Cleo. »Das war kein einfaches Verhexen.« Sie nahm mein BlackBerry und zeigte uns eines der Bilder. »Sie hat ein sehr komplexes Ritual zur Fluchaufhebung durchgeführt. Baldrianwurzel im Kreis ausgelegt und gemischt mit Schwefel, Salz, Chitin von Insekten, getrockneten Menschenknochen und noch mehr Zeug, das Ihnen wahrscheinlich den Magen umdrehen würde. Das alles umringt Asant, der auf einer perfekten Pyramide aus Kohle verbrannt wird. Es hat vermutlich richtig abstoßend gestunken.«
»
Ja
«, antwortete Nora sofort.
»Das war der Teufelsdreck. Asant. Es wehrt das Böse ab und schadet Feinden. Eine andere Möglichkeit, einen Zauber aufzuheben, ist, Asant in ein Glas zu tun, mit Baldrianwurzel, den Federn der schwarzen Henne, Zauberpulver und einer Haarsträhne der Person, die Sie verflucht hat. Dann uriniert man in das Glas und vergräbt das alles an einem Ort, an dem diese Person häufig vorbeikommt, wie der Veranda oder der Garage. Danach wird sie Sie für den Rest Ihres Lebens in Frieden lassen.«
»Funktioniert das auch bei Ex-Frauen?«, fragte ich. »Und wenn die in der Fifth Avenue wohnt, kann ich es beim Pförtner abgeben?«
Nora warf mir einen tadelnden Blick zu, doch Cleopatra räusperte sich bloß.
»Wenn man keinen Zugang zu dem Ort hat, an dem sie sich aufhalten wird«, fuhr sie geduldig fort, »macht man, was Ihre Freundin getan hat. Man baut einen Wandalenkreis auf.«
»Hat es geklappt?«, fragte Nora. »Hat es den Fluch
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