Die amerikanische Nacht
schwarze Kerze, schreibt den Namen des Feindes darauf und vergräbt sie mit den Scherben eines Spiegels auf einem Friedhof. Die negative Energie oder das Böse, was auf einen gerichtet war, wird auf den Verursacher zurückgeleitet.« Sie räusperte sich und zog eine pechschwarze Augenbraue hoch. »Noch mal zum Fußboden in ihrem Zimmer. Waren da Pulverspuren oder Kreidemarkierungen?«
»Es war dunkel«, sagte Nora. »Aber nein. Das wäre uns aufgefallen.«
»Aber der Boden war klebrig«, fügte ich hinzu.
Cleo sah mich an.
»Klebrig?«
»Als ob jemand Limo verschüttet hätte. Außerdem lagen da ein paar Plastikfolien.«
Cleo entknotete sich aus ihrer verdrehten Sitzposition, beugte sich über den Tisch und reckte mir ihr Kinn entgegen.
»Haben Sie eine dieser Folien
aufgehoben
?« Sie stellte die Frage mit einer solchen Intensität, dass ich ihren Atem spürte. Er war heiß und scharf und roch nach Knoblauch, als hätte sie einen seltsamen Kräutertee getrunken. Ihre kleinen, nikotinverfärbten Zähne standen eng beieinander, weiter hinten waren einige mit Gold besetzt.
Ȁh,
nein
«, sagte ich. »Aber ich bin mit Sicherheit draufgetreten …«
»Woher wissen Sie dann, dass es Plastikfolien waren?«
»Sie klangen so.«
Sie atmete tief durch und schloss einen Moment lang, sichtbar beunruhigt, die Augen. »Sind Sie in den Raum hineingegangen?«, fragte sie und lehnte sich zurück.
»Natürlich. Sonst hätten wir das ja nicht unter ihrem Bett gefunden.«
»Wie lange ist das her?«
»Das war gestern Abend.«
Sie beugte sich unter den Tisch. »Sind das die Schuhe, die Sie getragen haben?«
»Ja.«
Sie stand auf, ging zur Theke an der Hinterwand und kam mit einem Paar Latexhandschuhe und einem Haufen alter Zeitungen zurück. Sie zog sich die Handschuhe an und breitete die Zeitungen auf dem Tisch aus.
»Ziehen Sie bitte einen Schuh aus und geben Sie ihn mir ganz langsam.«
Ich warf Nora einen Blick zu – sie sah erschrocken aus –, zog einen meiner schwarzen Lederstiefel aus und reichte ihn Cleo.
Vorsichtig – als handele es sich um ein tollwütiges Tier – legte sie den Stiefel auf die Zeitung, mit der Sohle zu ihr. Sie wühlte in der Tasche ihrer Jeans und zog ein ungefähr zehn Zentimeter langes Klappmesser hervor, dessen Griff aufwendig aus einem Tierknochen geschnitzt war. Sie klappte die Klinge mit den Zähnen aus, hielt den Stiefel mit der anderen Hand fest und kratzte mit dem Messer langsam über die Sohle. Das tat sie minutenlang, ohne uns zu beachten. Als sie fertig war und die Klinge wenige Zentimeter von ihrer Nase entfernt betrachtete, war an der Klinge eine dicke, bräunlich schwarze Paste zu sehen. Es sah aus wie getrockneter Sirup.
»Das ist die Umkehrung«, flüsterte sie. »Das ist ein raffinierter Fußspurenzauber. Ich habe so was noch nie gesehen.«
»Was ist ein Fußspurenzauber?«, fragte Nora.
»Etwas, durch das der Feind laufen soll. Eine Falle.«
»Aber
wir
sind da durchgelaufen«, sagte ich.
Cleos Blick huschte vom Messer zu mir.
»Hat sie Grund zu der Annahme, dass Sie ihre Feinde sind?«, fragte sie.
»Nein«, sagte ich. Doch schon als ich es sagte, spürte ich ein unbehagliches Frösteln. Ich erinnerte mich schlagartig daran, wie Ashley mir am Reservoir See nachgestellt war, wie ihr strenges Gesicht mich von oben herab angestarrt hatte, als sie plötzlich am Torhaus erschienen war. Hatte sie sich von
mir
bedroht gefühlt?
Was hatte ich ihr oder ihrem Vater je getan, außer dass ich nach der Wahrheit gesucht hatte?
Vielleicht machte mich schon das zu ihrem Gegner. Doch wie konnte diese Familie so verlogen sein, wenn beinahe jede Hauptfigur in Cordovas Filmen genau danach suchte? Spielte das nicht auch eine Rolle? Spiegelte nicht die Kunst, wenn auch in geringem Maße, die Wertvorstellungen ihres Schöpfers wider?
Nicht unbedingt.
Menschen argumentierten oft unlogisch und eigennützig, wenn es darum ging, das Verhalten anderer zu deuten.
»Egal, was sie vorhatte«, flüsterte Cleo, als könnte sie meine Gedanken lesen, und ließ ihren Blick zurück zum dunklen Leim auf der Messerklinge wandern, »eines ist klar.«
»Was?«, fragte ich. Mein Mund war auf einmal ganz trocken.
»Sie sind
verflucht
.«
45
»Könnten Sie das weiter ausführen?«
Cleo legte vorsichtig das Messer ab und stand auf. Dann ging sie zum Bücherregal an der hinteren Wand des Raumes.
»Guck«, flüsterte Nora, die die rissigen Sohlen ihrer Motorradstiefel inspizierte. Sie waren mit
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